Der Spartathlon ist nicht Entenhausen und auch nicht Hollywood

Ihr kennt das. Die tollen Filme mit Happy End, wo der Hauptdarsteller etwas versucht, scheitert, wieder versucht, es wird ganz knapp und unmöglich und dann schafft er es wie durch ein Wunder schließlich doch. Natürlich nur, weil er alles gegeben hat und er es dadurch ja auch nur schaffen kann, geht ja gar nicht anders. Das ist leider nicht die Realität und fair ist diese meist auch nicht. Ich durfte völlig alleine und ohne Hilfe mit Eis oder ähnlichem versuchen durchzukommen und brachte es dafür wieder einmal sehr weit. Steckt man sich große Ziele, muss man davon ausgehen sie nie, oder nur schwer zu erreichen. Kleinere Ziele zu haben, könnte man sich vornehmen und stellt dabei fest, dass sie einem nicht genügen, da sie zu einfach zu erreichen sind, oder schon zu oft erreicht wurden. Auch wenn nichts selbstverständlich ist, so kann ein 100km Rennen mit langen Cut Off Zeiten einfacher erreicht werden als ein Spartathlon, der nicht nur länger ist, sondern knallharte Cut Offs hat und zwar von A bis Z. Wenn man dann wie ich sein Potenzial erkennt und weiß, dass man es schaffen kann und sich dieses Ziel dadurch nicht entgehen lassen will, weil es eben nicht aussichtslos ist, landet man wieder beim großen Ziel Spartathlon und sortiert sich neu....

Dieses Rennen fordert einem einfach alles ab und es sind Kleinigkeiten, die schnell zu Großigkeiten werden können. Ein kleiner Fehler nur kann ein schnelles "Aus" bedeuten. Ich kann das nicht oft genug sagen. Hier haben schon ganz andere aufgeben müssen, die nicht nur mehrfach, sondern auch in einer weitaus besseren Zeit als der geforderten angekommen sind. Du kannst 221km weit kommen, bist aber noch lange nicht im Ziel, auch wenn der dumme Normalbürger meint "die 26km währen jetzt auch noch gegangen", weil er es einfach nicht kapiert und nie kapieren wird. Selbst jemand der beim ersten Mal durchkommt, was mir fast gelungen währe, kann das nur nachvollziehen, wenn er realistisch reflektiert und erkennt, welche Gefahren hier lauern und einen auch noch kurz vorm Ziel ausschalten können.

 

"Herr Lange, hat ja leider wieder nicht geklappt!" Danke für´s Gespräch! Was heißt wieder? Das erste Mal wurde ich vom Wetter überrascht, einem Jahrhundertsturm der dort noch nie war und mit dem die Griechen selbst nicht umgehen konnten und das Rennen deshalb fast gestoppt hätten. Das zweite Mal versaute ich mir selbst das Rennen, weil ich die Hitze unterschätzt habe und einiges falsch gemacht habe. Das fing mit zu wenig und zu spät zu trinken an und endete mit zu wenig Salzzufuhr. 2019 war das einzige Mal wo ich mir selbst das Rennen durch falsche Entscheidungen zerstört habe. Beim dritten Versuch hat man mich zwangsgeimpft und mir mit der COVID19 Impfung das Rennen versaut. Die lahmte meine Muskulatur und ich konnte mich davon über ein halbes Jahr nicht erholen. 

 

Die Erkenntnis aus 2022 für mich ist, dass ich drei Faktoren optimieren muss. Das Hauptproblem ist, man darf sich keine Sekunde auf den griechischen Veranstalter verlassen - leider. Das war mal besser. Sie schreiben, was es wo an welchem Verpflegungspunkt gibt und stellen es nur den ersten Läufern oder gar nicht erst zur Verfügung. Brauchst du also dringend was handfestes zu essen, bekommst du unter Umständen nur Kartoffelchips und nicht das "light Meal" das sie protzig auf der Webseite anbieten. Da ich zwar lange nüchtern laufen kann und bei Hitze wenig bis gar nichts esse und diese mit Salz und Cola überbrücke, muss ich aber in der Nacht dann doch essen und zwar handfeste Dinge wie Suppen, Spaghetti, Reis, Kartoffeln, Gulasch usw. Bekomme ich das nicht, laufe ich leer und wenn die Batterie leer ist, ist es auch irgendwann aus. Faktor zwei ist mit dem oben genannten sich nicht auf den Veranstalter zu verlassen auch hiermit geklärt, weil ich eben einfach überlegen muss, was ich an Fertignahrung selbst in meinen Dropbags hintelegen kann, um dem Problem zu entgehen. Der schwierigste Teil und fast unlösbar ist diese verdammte Hitze. Ohne Eis von außen, ohne Wasserkühlung, ist diese schwer zu kontrollieren. Ist man messerscharf am Cut off und wird durch die Hitze immer langsamer, ist es ebenfalls schnell vorbei. Hier muss mir was einfallen oder ich muss das Glück haben, dass es mal nicht so heiß wird, wobei Letzteres wenig realistisch ist. Ich kann nur ändern was zu ändern ist. Alles andere muss ich akzeptieren und in den Griff kriegen. 

 

Dieses Jahr musste ich vom ersten Tag an mit über 36 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit kämpfen. Bekannte fragen mich immer wieder dasselbe "aber du warst doch in der Wüste. Du musst damit doch umgehen können?" Klar kann ich damit "umgehen". Nur ist es in der Wüste erstens trocken und zweitens sind die Distanzen kürzer, der Cut off viel toleranter. Beispiel: Hast du beim MDS für 81km knapp 30h Zeit (Distanz und Cut off können sich seit 2015 verändert haben). Es geht ja nicht um die exakte Angabe, sondern das Sie als Leser das begreifen. Man startet in der Sahara am ersten Tag auf die lange Etappe von 81km und könnte theoretisch nachts schlafen und am Folgetag weiterlaufen. Man kann aber auch durchlaufen / marschieren und ruht sich den Folgetag aus. Bei der Tortour de Ruhr kann man sich 36h für 230km Zeit lassen und diese Zeit frei einteilen. Man kann schlafen, 2h pausieren, Hauptsache man kommt in diesen 36h an. Also passe ich mein Tempo der Hitze an und gehe notfalls sehr lange. 

 

Beim Spartathlon muss man den ersten Marathon mit 42,2km in 4h 45min hinter sich haben, weil man sonst bereits hier den Cut off überschreitet und das Rennen vorbei ist! Manch einer währe froh, er würde beim Frankfurt Marathon diese Zeit IM ZIEL haben! Jetzt geht das aber bis 81km knallhart weiter. Hier ist der Cut off bei 9h 30min. Hier hat das Rennen Spartathlon aber eigentlich erst begonnen, weil ab da noch über 165km vor einem liegen. Wenn ich die 100km unter 12h 45min erreicht habe, rede ich mir immer ein, dass ich jetzt keine 100 Meilen mehr vor mir habe (also 160km). Nach 140km sind es "nur" noch 106km... Ich laufe bei Hitze leider immer sehr langsam und bin und bleibe Kälteläufer. Mir war am ersten Tag schon klar, wenn ich mich in der Nacht nicht vom ersten Tag sehr gut erholen kann, werde ich mein Ziel Spartathlon 2022 nicht rechtzeitig und somit gar nicht erreichen. Ich währe sogar bereit gewesen ohne Medaille ins Ziel zu laufen, nur um es erreicht zu haben. Soviel zu "man muss es wollen." Ich hätte das nicht nur nicht gedurft, ich währe gar nicht mehr versorgt gewesen. Die Check Points schließen ja zur Cut Off und somit auch die Versorgung und die Möglichkeit sein Dropbag zu bekommen. Deshalb kann man das nicht mit dem MDS in der Sahara vergleichen. Durch die Hitzeerfahrung schaffe ich es ohne Durst bekommen zu laufen, kriege Krämpfe in den Griff, vermeide Dehydration usw. Aber die Kühlung ohne Crash Eis, Wasser oder einer anderen Idee, wird schwer. So schleppte ich mich über die ersten 100km hinweg und wurde in der Nacht sogar wieder etwas schneller, aber nicht viel. 

 

Bei 140km zweifelte ich ob es nicht schon aus währe, ich hatte aber noch 20min auf das Cut off und somit eine reelle Chance, weiterlaufen zu können. Man muss mental stark sein und darf sich nicht beirren lassen, Letzter zu sein oder so nah am Cut off zu laufen, aber man muss dran bleiben. Wenn dann die harten Anstiege ab 148km kommen und der Sagas Pass bei 159km beginnt mit seiner Trail und über 1000 Höhenmetern im Dunklen und steil bergauf, lässt man Zeit, Kraft und Nerven. Ich wankte wie ein Zombie diesen Berg hinauf und ließ alles an Cut off Zeit zurück was ich noch hatte. Mit ein paar Minuten vor dem Besenwagen, griff ich bei 165km wieder an und lief so gut ich konnte, dass ich die 172km unter 24h 30min erreichte, um nicht aus dem Rennen genommen zu werden. Man zweifelt und zittert immer und man bekommt Verletzungen im Rennen mit denen man umgehen muss. Eine Sehnenverletzung vorm Start machte mir Sorgen und ich hoffte, sie würde das Rennen nicht gefährden. Sie trat während des Rennens nicht auf, dafür aber Krämpfe, schmerzende Oberschenkel und viele andere Kleinigkeiten, die ich immer versuchte durch Nahrung, Schrittwechsel und aushalten zu beseitigen. Manche Probleme gehen nämlich auch einfach von selbst so wie sie gekommen sind wieder weg. So quälte ich mich weiter, jetzt wieder mit viel Hoffnung das Ziel zu erreichen. Zuvor bin ich unter Krämpfen den Sagas Pass runter marschiert und fluchte "hier her verirrt sich doch nicht mal ein blöder Straßenköter! Warum lässt man uns hier drüber?!" Ich versuchte verzweifelt mit Salztabletten dieser Krämpfe Herr zu werden und wusste, wenn die erst die Oberschenkel angreifen, ist es vorbei. In meiner Verzweiflung nahm ich an einem der folgenden Check Points einen Teelöffel pures Salz ein, da sie dort welches hatten mit den Worten "irgendwas muss ja helfen" und mit der Trinktaktik aus der Wüste (alle 3min ein Schluck Wasser), bekam ich sie in den Griff. Jetzt bei 175km konnte ich also wieder hoffen! Keine Krämpfe, ich lief mit 8:30min/km und machte mir klar, wenn ich so weiter mache bis 200km, währe es schon möglich zu finishen. Gegen 07:30 Uhr war es auch wunderbar frisch und der Morgen war ein Traum. Ich entfernte mich wieder etwas von der Cut off und die Griechen an den Verpflegungsständen riefen mir zu "You are a Beast Harald! You are a Finisher! Amazing race what you are doing!" Ich passierte die Verpflegungspunkte so schnell ich konnte. Nummer rufen, Wasser greifen, weg.

 

Leider dauerte die Freude nicht lang. Ich wurde wieder langsamer und gegen 10:00 Uhr wurde es wieder brutal heiß. Kein Wind, pralle Sonne, kein Schatten, offenes Feld, Letzter im Rennen. Der Letzte zu sein war nicht das Problem. Ich war aber alleine da hinten. Kein Support Auto schaute nach mir, kein Mensch bis auf ein paar Straßenköter weit und breit. Die Supporter warteten an den Folgepunkten auf mich, ob ich in geforderter Zeit ankomme oder sie mich beim nächsten Punkt aus dem Rennen nehmen können. 40min brauchte ich nun auf 4km! Bei 195km schließlich überschritt ich nach 11:00 Uhr und somit über 28h die Cut off um ca. 2min und hätte da noch weiter gedurft, aber nur, weil der Todesbus (Besenwagen) am nächsten Punkt auf mich gewartet hat und man hier keine Lust hatte, mich dort hin zu bringen. Ich hatte aber auch keine Lust mich für Nichts weitere 4km zu quälen und zu hoffen, um dann doch zwecks zu langsamer Laufleistung rausgenommen zu werden. Außerdem hatte ich Sorge, wenn ich kollabiere, dass man erst in ca. 10min nach mir suchen würde. Geht es um Leib und Leben hier oder um ein Rennen? Kritiker können jetzt wieder schreien "Wenn du gewollt hättest... Zu Hause trainierst du ja auch alleine..." Blablabla... Klar trainiere ich daheim alleine! Aber keine 28h am Stück in praller Sonne und ich kann das Risiko eher einschätzen. Kollabieren kann man aus heiterem Himmel auch nach 10km nur wie wahrscheinlich ist das? Wenn mir aber mein Körper doch schon signalisiert zu überhitzen, ich zu langsam bin, keine Hilfe von außen habe und nicht langsamer werden darf, ist es unverantwortlich und dumm, dann trotzdem weiterzumachen. Will ich ein Nierenversagen oder ein anderes Organversagen riskieren? Das könnte meine Karriere für immer beenden und ich habe ein Leben lang Probleme damit. Das steht nicht dafür und ins Ziel komme ich mit der Einstellung auch nicht. 

 

Ich bin immer bereit zu kämpfen aber ich kenne meinen Körper besser als die Meisten, achte auf Frühwarnsignale und merke auch wenn eine Situation aussichtslos scheint. Klar muss man wollen! Würde ich nicht wollen, währe ich nicht hier! Blöder Vergleich aber wenn jemand tot krank ist und sterben muss, kann er auch sagen "ich will aber nicht". Es wird aber geschehen. Egal ob er will oder nicht. Will ich auf den Berg und das Wetter schlägt um, kann ich nicht rauf. Tue ich es doch, passiert das, was 2008 an der Zugspitze passiert ist. Nicht der Veranstalter, nicht der Berg, NEIN! DER DUMME MENSCH HAT SCHULD!!! Weil dieser aus Habgier und Dummheit nicht einsehen will, dass es zu gefährlich ist. Mit entsprechender Ausrüstung kann man gewissen Gefahren noch weiter entgegentreten, aber irgendwann wird es schwer kalkulierbar und lebensgefährlich. Ich gehe auch nicht bei Lawinenwarnstufe 4 auf den Berg. Risikobereite Deppen die das tun und denen dann durch Glück nichts passiert ist, sehen das natürlich anders. Die interessiert es aber auch nicht, dass Rettungskräfte mit Familien anschließend ihr Leben dafür aufs Spiel setzen, um sie zu retten! Das ist weder sportlich, noch steht es dafür. Das war der Grund, das ich nach 195km die Segel streichen musste, auch wenn es nur noch 51km zum Ziel gewesen währen und ich noch 8h dafür Zeit gehabt hätte! Regeln sind Regeln und Zeitüberschreitung ist Zeitüberschreitung. 

 

Mich trifft keine Schuld! Ich habe gut trainiert, war gut vorbereitet und bin der Sache ganz klar gewachsen. Ich darf mich nur nicht auf Dritte verlassen und muss die erkannten Probleme besser in den Griff bekommen. Ich muss mein Rennen noch autarker planen. Sich bei bestem Support und bester Planung dann dennoch zu verletzen und aussteigen zu müssen, kann man nicht planen, das ist unmöglich. Da könnte man ebenso darüber nachdenken wie lange man noch zu leben hat. Reine Zeitverschwendung.