...Weil jeder Meter zählt! - 24h Schlacht in Bottrop

Ich war und bin nicht überheblich. Was wahr ist, muss und darf man sagen. Ich bin ein guter Ultraläufer und ich weiß, was ich kann. 180km und mehr zu laufen sind aber weder für mich, noch für jeden anderen eine Selbstverständlichkeit. Läuft man am Limit und will man das Maximum aus sich heraus holen, muss man riskieren, daran zu scheitern. Wenn man immer nur im Rahmen seiner Möglichkeiten laufen würde, gäbe es keine Rekorde. Zumindest sehe ich das so. Es war ein unglaublich hartes und auch sensationelles Rennen bei der Deutschen Meisterschaft auf 24h in Bottrop...

Bild: Spiridon Laufteam mit Support
Unser Team von Links nach Rechts: Lothar, Anne, Florian, Harry, Christiane

Nicht selten ist ein guter Support entscheidend für ein gutes Rennen. Und hier waren wir drei Laufhelden nun mit unseren Support Mädels Christiane und Anne und sollten um die Deutsche Meisterschaft im 24h Lauf kämpfen. 

 

Wie sich Theorie und Praxis entzweien können, haben wir bei diesem Event bewiesen. Man muss sich vorstellen, dass ich der Erfahrenste Ultraläufer von uns Dreien bin, was mir aber nicht garantiert auch die beste Leistung abzuliefern. Und so kam es, dass Florian es war, der die beste Leistung von uns mit über 210km erreicht hat. Er ist leichter als ich und auf Marathon auch schneller. Ich habe ihm Großes zugetraut aber das es so groß werden würde, traute ihm keiner der Cracks hier am Start zu. Lothar, der bislang auf 100 Meilen knapp über 21h stehen hat, bestätigte seine Leistung mit über 162km und ich selbst, der mehrfach 180km auf 24h gelaufen bin, konnte diese mit knapp 175km diesmal leider ums Verrecken nicht erreichen. Das Schlimme daran ist, ich weiß genau, man darf diese Leistung nie erwarten und generell voraussetzen, tut das aber insgeheim doch. Ich weiß auch, dass es kein Vergleich zum Spartathlon ist. Dennoch ist es natürlich für den Kopf besser, ein 24h Rennen wie dieses mit über 180km abschließen zu können, eine Garantie für ein Finish beim Spartathlon ist es trotzdem nicht - Basta. Da kann man hüpfen und schreien, das wahr haben wollen oder nicht, das ist die nackte Realität. Ein kleiner Fehler kann so ein Rennen gefährden und man bekommt im Ultrasport manchmal gnadenlos aber ehrlich auf die Fresse. Andererseits kann man verdient und unerwartet Lorbeeren ernten, was diesen Sport dann doch wieder enorm interessant macht. 10h vor Rennende hier nach Positionen zu schauen ist sowieso Blödsinn, weil noch viel passieren kann. Bei diesem Event wurde aber auf den Letzten MINUTEN noch um Positionen gekämpft und unerwartete Ergebnisse erzielt. Bitte dabei zu bedenken, wir waren bereits knapp 24h nonstop unterwegs!

Ein Wetter zum Helden zeugen!!! Hier, die 3 Helden! Lothar, Flo und Harry
Ein Wetter zum Helden zeugen!!! Hier, die 3 Helden! Lothar, Flo und Harry

Der Startschuss fiel und das Rennen war im Gange. Zunächst lief für mich alles nach Plan und ich tat was ich über Monate trainiert hatte. Meine Versorgung war top und ich hatte keinerlei Krämpfe oder Übelkeit, da ausreichend und nicht zu viel Salz, Kohlehydrate, Eiweiß und Mineralien vorhanden waren. Dass ein enorm starkes Feld aus den Besten der Besten am Start war wusste ich vorher. Das sie aber so Gas geben würden, schockierte mich schon und das Florian die komplette Ultraszene aufmischen würde, war bis zu dem Zeitpunkt noch nicht klar. 

 

Ich sah ihm beim Überrunden zu, er hatte stets einen netten Spruch für mich parat und motivierte mich noch damit. Wahnsinn der Kerl. Ich dachte so bei mir "Wenn du das durchhältst, Respekt! Wenn nicht, hoffentlich erträgst du die Quittung dafür." Ich selbst weiß ja wie man zahlen kann, wenn man sich übernimmt. Aber der übernahm sich nicht - der funktionierte einfach. Lothar war auch zunächst um einiges schneller unterwegs als ich und mir setzte wie immer die Hitze zu. Es war zwar ein tolles Wetter und kaum Wind aber mir ist das zu heiß und ich kann bei der Hitze nicht Bestleistung laufen, nur überleben. Ich weiß das. Dennoch habe ich immer die Cut Off Zeiten vom Spartathlon im Kopf und versuche diese zu halten. Sie sind für dieses Rennen irrelevant aber ich muss sie einfach drauf haben. Ansonsten werde ich aus dem Rennen genommen. Die ersten 81km war ich voll im Soll, wenn auch nicht in 8h30min. Bis 100km wurde es eine Quälerei und ich lag jetzt mit 11:50min deutlich drüber, was mich etwas frustriert, für heute aber noch nicht demotiviert hat. Es ist ja nicht jeder Tag gleich. 

 

Jetzt bekam ich aber langsam richtige Schmerzen. Der Kreislauf setzte mir zu, ich begann zu torkeln, die Füße schmerzten, ich baute ab und wusste nicht was tun. Ich bin keiner der aufgibt aber ich weiß natürlich wenn es gefährlich wird und bleibe realistisch. Risiko ja aber ich bin nicht völlig bescheuert. So musste ich jetzt ernsthaft so früh schon im Rennen knapp bei 12h überlegen ob es hier vorbei ist, ich pausieren soll, oder wie es weiter geht. Christiane hat sofort begriffen als ich mich setzen musste was los ist. Ich setze mich auf 24h normal nicht und wenn dann nur für Sekunden. "Weiterkämpfen" meinte da Anne und "Die Vereinsehre" die Christiane und von einem Tritt in den Arsch war auch die Rede... Natürlich sagte ich mir auch "Kämpf du Sau!" aber lustig war das alles nicht mehr und ich bekam einfach weder einen vernünftigen Laufschritt noch Gang zustande und wusste nicht mehr wie und ob ich die 12h lebend, in Gefahr oder wie auch immer überstehen sollte. Ich rechnete mir die Schadensbegrenzung aus und dann schoss mir der Titel dieses Berichts in den Kopf "Weil jeder Meter zählt!" Ja es ist so! Jeder läuft das Rennen für sich ABER wir starten heute hier als Verein Spiridon Frankfurt für die Deutsche Meisterschaft und man stelle sich nun vor, der Verein verliert seine Platzierung wegen 3km! 3km die ich hätte kriechen oder gehen können aber das nicht wollte, weil ich es als unnötig empfand?? Könnte ich das verantworten? NEIN! Kann ich Lothar und Flo alleine darum kämpfen lassen? NEIN! Und wenn nun die Beiden Lothar und Flo das Rennen ihres Lebens laufen und Flo sogar sagte "Harry, es ist mir eine Ehre mit dir laufen zu dürfen!" Kannst du die Jungs wirklich alleine lassen? KANNST DU NICHT!!!

 

Ich nahm etwas Koffein und hoffte, dass sich der Kreislauf beruhigen würde und ich wenigstens weiter im Rennen bleiben konnte. Jetzt stand mein Ziel die 180km zu erreichen außer Frage. Jetzt war es eine Frage der Ehre, des Respekts, des Miteinanders. Trotzdem muss ich klar sagen, dass ich immer mit dem Kopf dabei war. Wenn die Probleme stärkger geworden währen, hätte ich das Rennen quittiert, Ehre hin oder her. Natürlich tut einem das leid aber wir reden nicht über einen 10km Wald- und Wiesenlauf. Das ist hier etwas Größeres. Anne und Christiane die sich hingebungsvoll über die gesamte Zeit um uns gekümmert und nachts gefroren haben und wirklich hinter uns standen und alles für uns getan hätten was uns half hier zu siegen. Das alles ist mir bewusst und sicher nicht egal. Dennoch geht es nicht immer so wie man will oder das in Hollywood läuft. Das Leben ist nicht Hollywood. Ich rechnete mir aus 140km wenigstens beisteuern zu können. Ich frage mich wo Lothar eigentlich war, da ich ihm nicht mehr begegnete und die Überholungen vom Flo wurden auch weniger. Ich holte mir eine Portion Nudeln, setzte mich hin und aß diese genüsslich. Ich dachte gar nicht dran aufzustehen und weiterzulaufen wie ich das normal mache, wenn es mir halbwegs gut geht. Es war mir jetzt knapp über 100km wirklich alles scheißegal. Egal ob Anne da "Weiter" rief oder Christiane "Du kannst nicht raus gehen", es war mir egal. Ich hatte meine Nudeln und mein Bier und war erst mal damit völlig zufrieden. Nachdem ich alles aufgegessen hatte, stand ich auf, höre in mich hinein und trabte los und - ja, es ging. Kann man in jetzt knapp 11h30min noch ca. 80km laufen? Theoretisch schon. Es müsste mir sogar praktisch gelingen wenn ich jetzt dran bleiben würde. Die Nacht ist klar, die Schmerzen sind da aber werden nicht schlimmer - der Kreislauf spinnt aber ich falle nicht um, was soll passieren? 

 

Es war auch anders als nach diesem Impfschaden. Ich war fertig und konnte vor Schmerzen nicht richtig laufen oder gehen aber die Kraft in den Muskeln verließ mich nicht wie letztes Jahr. Mental war ich auch da, ich hatte nur keine Lust mehr. Daran kann man ja arbeiten. Wenn du nicht mehr kannst aber willst ist das etwas anderes als wenn du noch kannst aber nicht mehr willst. Und ein bisschen konnte ich schon noch. Die Nudeln taten gut, ich konnte wieder laufen, wenn man 7:35min/km noch als Laufen bezeichnen kann, meist 8min/km, aber es ging voran. Mir ging dieses tolle Lied durch den Kopf das so eine Saufnase hier an der Strecke gesungen hat. Ein Zuschauer. 24h im Kreis zu laufen ist eine Sache, sich das noch anzuschauen eine ganz andere. "Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran!" So in etwa ist der Text. Die Nacht an sich war ruhig, klar, etwas frisch und schön. Ich freute mich auf den Sonnenaufgang und den Vogelgesang um 04:00 Uhr morgens. Ist die Sonne da, verfluchst du sie und geht sie unter, sehnst du dich nach ihr. Schlimm ist das manchmal. Ich war dann endlich bei 150km angelangt und hätte mir nicht erträumt das ich da heute nochmal hin komme. Mittlerweile lief mir auch ein fröhlicher Lothar das ein oder andere Mal wieder über den Weg und ich rechnete mir meine Chancen aus. Wo Flo und Lothar waren wusste ich nicht, da ich die Anzeigetafel nicht lesen konnte. Ich fragte Christiane nach dem Zwischenstand und das Motivierende war, mein GPS lag 5km daneben! Ich war statt 145km schon 150km gelaufen! Jetzt hatte ich noch 3h30min für 30km Zeit, wollte ich die 180km voll machen. Mein Ziel war natürlich mehr als 180km zu laufen, wohl wissend, dass das nicht selbstverständlich ist. Doch schätzte ich mich realistisch ein. 

 

Alle Schmerzen, Gedanken und Probleme hier aufzuführen, sprengt den Rahmen des Berichtes und die meisten Leser würden das weder begreifen noch lesen wollen fürchte ich. Da quälte mich noch der Heuschnupfen und ich bekam mehrmals auf der Strecke Schluckauf, was mir noch nie passiert ist. Dann waren meine Schuh zu eng und ich machte sie so weit auf das ich anfangs glaubte sie zu verlieren, aber das zum Ende hin gar nicht mehr merkte. Dass Cola und Salz im Rennen runter gehen obwohl es beschissen schmeckt und das man Milchreis mit Bier drin behält, sind auch so Besonderheiten die bei jedem anders klappen oder auch nicht. Um ehrlich zu sein bin ich zu später Stunde meist so neben der Spur das ich selbst nicht mehr klar sagen kann was jetzt eigentlich mein Problem ist und was ich so alles getan, gedacht und vor allem wann ich was getan habe. Ich wusste jetzt nur realistisch, dass ich die 180km nicht mehr erreichen kann. Ich kann nur so nah wie möglich dran laufen. Wer ein bisschen rechnen kann, weiß das jetzt auch. Ich müsste knapp über 6min/km konstant laufen wenn ich in knapp 3h30min 30km erreichen will. Noch einfacher: 6min/km = 1h auf 10km = 30km in 3h. Ich lief um die 8min/km = 1h20min auf 10km = 4h auf 30km. Dann darfst du aber nicht kacken, trinken, oder aus sonst irgendeinem Grund stehen bleiben müssen. 170km waren definitiv drin und das musste jetzt auch sein. Ich setzte alles dran. So kämpfte ich weiter bis ca. 30min vor Ende des Rennens. Ich hatte jetzt meine 170km und jetzt konnte ich alles versuchen. Ich konnte anlaufen und dabei riskieren abzukacken, da es eh gleich vorbei war. Risiko - Entweder noch Positionen gut zu machen, oder nach 10min zusammenbrechen und von der Strecke gezogen werden. 6h vor Ende kannst du das natürlich nicht machen. Jetzt kam aber der Herdentrieb und endlich zum ersten Mal gab es mal Stimmung hier auf der Strecke! 

 

Nicht falsch verstehen. Der Support war super, aber die Stimmung langeilig. Es passierte nichts! In Sparta verfolgen dich wenigstens Hunde, Autos, Griechen am Streckenrand feuern dich an aber hier - der ein oder andere dumme Spruch eines Fußgängers "Habt ihr keine Hobbys?", ein Radfahrer der dich überfahren will, ein paar aufmunternde Worte der Supporter - sonst nichts. Nicht mal Musik gab es nachts was bei einem 24h Lauf normalerweise normal ist. Gut für die mentale Leistung aber halt fad. Jetzt standen Leute am Streckenrand, die mir zuvor nicht aufgefallen sind. Es wurde applaudiert und geschrien und wir wurden angepeitscht und da holten wir alle noch mal alles aus uns raus. Florian Reus holte sich noch Platz 1 auf den letzten Minuten, mir zeigte jemand an einem Anstieg den Vogel als ich an ihm vorbei ballerte und noch 3min auf der letzten Runde auf meinen Konkurrenten vor mir gut machte, sogar knapp unterm 6er Schnitt war ich jetzt, was ich selbst kaum glauben konnte. Es ist wohl so, wenn du weißt es ist vorbei, dass du dann unbeschwert adrenalingeschwängert und hirnlos einfach nochmal alles mobilisierst und dann im Ziel jämmerlich verdient zusammenbrichst und alleine nicht mehr auf die Bühne oder aufs Klo kommst. Denke das beschreibt es ganz gut. Zumindest geht es mir so. Oder wenn ich das gesetzte Ziel erreicht habe, z.B. 180km und alles egal ist, auch dann mobilisiert man noch ungeahnte Kräfte. 

 

Ich bin mit meinem Ergebnis soweit zufrieden und war damit knapp an meiner geforderten Leistung dran. Wir haben den 5. Platz mit Spiridon Frankfurt bei der Deutschen Meisterschaft belegt. Flo ist Gesamt auf Platz 6 gelaufen, ich auf Platz 27 und Lothar auf Platz 40. Wir haben gekämpft und eine super Leistung abgeliefert. Wie schon gesagt, bei der Distanz gibt es keine Garantie, es ist immer spannend und neu und es gibt immer wieder unglaubliche Überraschungen - gell Florian!

 

Ein Kopf, ein Arsch! Ich laufe mit Dir ans Ende der Welt meine Traumfrau Christiane.
Ein Kopf, ein Arsch! Ich laufe mit Dir ans Ende der Welt meine Traumfrau Christiane.