Dass nichts im Leben selbstverständlich ist wird einem immer erst dann bewusst, wenn es nicht mehr funktioniert. Selbst das man morgens aufstehen kann, ist nicht selbstverständlich.
So machte ich mich nun auf nach Athen um meinen Traum, den Spartathlon finishen zu können, endlich Wirklichkeit werden zu lassen. Dieses Rennen ist so enorm lang und groß, dass man einfach nicht im Vorfeld abschätzen kann ob und wie man durchkommt. Am Renntag muss alles stimmen. Man muss körperlich und mental bei der Sache sein und auf die Probleme die im Rennen kommen die richtigen Antworten wissen. Und Probleme werden kommen, soviel ist sicher. Egal ob man vorn oder als letzter läuft. Das Rennen hatte gut für mich begonnen. Ich fand mein Tempo und es wurde zunehmend wärmer. Meine Wasser- und Salzversorgung war viel besser geplant als 2019 und ich habe aus meinen damaligen Fehlern gelernt. Dennoch überraschte mich nach ca. 45km, dass meine beiden Oberschenkel schmerzten und nicht mehr richtig mitarbeiten wollten. Muskuläre Probleme sind mir bis dato absolut unbekannt! Ich kenne Krämpfe und Kreislaufprobleme aber ein Versagen meiner Muskeln ist mir neu. Ich musste also versuchen langsam weiter zu laufen und bewege mich dabei schon ab Marathon gefährlich nah am Cut Off. 80km sollte ich eigentlich in 8h40min erreicht haben, das Cut Off liegt bei 9h30min und angekommen bin ich bei 9h20min!
Wenn ich jetzt bis 100km nicht schneller laufen kann, wird es eng. Ich hoffte auf die Nacht und darauf, dass sich mein Körper damit erholen würde. Ich habe schon immer ein Problem mit der Hitze gehabt. Obwohl ich Saunagänger bin, kann ich bei Hitze einfach nicht schnell und auch nicht gut laufen. Wenn ich längere Distanzen wie 24h, 100 Meilen oder eben den Spartathlon laufe, sehne ich die Nacht herbei und hoffe hier dann Zeit gut machen zu können. Das Problem dabei ist, dass mein Körper auf genau zwei Arten reagiert: Entweder er erholt sich und ich kann weiterlaufen oder er erholt sich nicht und ich bekomme massive Kreislaufprobleme. Diese kann ich evtl. sogar in den Griff kriegen, brauche dafür aber Zeit. Und Zeit war genau das, was ich heute und hier nicht mehr hatte. Ich schleppte mich weiter bis km 140 und dabei bewegte sich mein Tempo auf 8:20min/km, also deutlich zu langsam. Das Langsamste Tempo das ich an den Tag legte war 10:20min/km. Somit schwand mein eh schon geringer Cut Off immer weiter und damit auch die Chance, jemals in der geforderten Zeit das Ziel zu erreichen. Als ich mich bei km 140 ausruhen wollte wurde ich dazu aufgefordert weiter zu laufen, da mir noch genau 3min bis zum Cut Off blieben.
Ich bin definitiv kein Weichei. Ich weiß was ich kann, wer ich bin und was ich will. Aber ich bin auch kein Idiot und ein Realist und kann meine Situationen in denen ich mich befinde meist sehr gut einschätzen. Man sagt, dass man niemals das Rennen aufgibt bevor einen die Griechen nicht aus dem Rennen nehmen. Wenn ich bei 221km mit 4h Zeit auf den Cut Off zügig spazieren gehe, dann mag ich eine reelle Chance auf das Ziel haben, auch wenn ich nicht mehr zügig laufen kann. Wenn ich aber bei 140km mit 3min auf den Cut Off nicht in der Lage bin schneller zu laufen und mir in 10km ein Aufstieg durchs Gelände über 1000 Höhenmeter bevor steht, ist es eine Frage der Zeit, bis mich der Cut Off einholt. Ob das nun bei 150km oder bei 170km ist, ist dabei völlig egal. Fakt ist, ich kann das Rennen nicht beenden! Dazu hätte ich schneller laufen müssen und im Nachhinein bilde ich mir sogar ein, ich hätte das gekonnt. Natürlich hätte ich es nicht gekonnt. Wer mich kennt weiß eines sicher: Wenn ich schneller hätte laufen können, dann hätte ich das auch getan. Wir reden hier über das wichtigste Rennen in meiner Karriere, wofür ich bereit war und bin alles zu tun. Das wirft man nicht einfach hin, weil man nicht mehr weiter laufen will. Zugegeben: Es gibt diese verrückten Gedanken, wenn du alleine auf einer Schnellstraße über 24h lang läufst und dir dabei denkst "Kann mich nicht bitte jemand einfach nur mit dem Seitenspiegel streifen das ich mich schreiend zu Boden werfen kann und leider aufhören muss, weil man mich angefahren hat? Dann hätte ich einen plausiblen Grund um aufzuhören und müsste nicht nach Ausreden suchen jetzt nicht mehr laufen zu müssen, weil ich nicht mehr laufen will." Frei nach dem Motto, wenn ich angefahren bin, muss ich wenigstens nicht mehr laufen. Trotzdem läufst du aber weiter! Ich gebe niemals auf, nur wenn ich gesundheitlich dazu, wie leider auch hier, gezwungen bin. Ich versuchte über 6h das Problem mit meinen Oberschenkeln zu beheben und es gelang mir einfach nicht. Somit musste ich das Vorhaben schweren Herzens aufgeben. Hätte ich noch 30min bis zum Cut Off gehabt, hätte ich es sicher riskieren können und sogar müssen! Diese Zeit ist dann spätestens über den Bergpass hinüber aber bis dahin wäre eine Erholung evtl. möglich gewesen und wäre ich dann wieder schneller gelaufen, wäre das Rennen für mich weitergelaufen.
Die Niederlage schmerzt enorm und ich bin heute noch fassungslos. Ich verstehe nicht was und warum dort passiert ist. Nach 45km im Rennen wurde ich fast angefahren, in der Nacht von einem herumlaufenden Hund attackiert und all das überstand ich. Ich hatte keine Krämpfe, kein übertriebenes Durstgefühl, keinen Durchfall, kein Erbrechen. Dennoch machten meine Oberschenkel zu und ließen mich nicht mehr anständig laufen. Ich bin verzweifelt, drauf und dran alles hin zu werfen und natürlich stellt sich mir auch die Frage warum das hier und wozu? Es gibt so viele schöne Rennen auf dieser Welt und der Spartathlon ist alles andere als schön, wenn man die Strecke betrachtet. Man läuft meistens auf der Straße oder in der Pampa, durch vermüllte Raffinerien wo es stinkt nach Tierkadavern und Öl, Müll, es ist heiß, laut, nicht ungefährlich wegen der herumlaufenden Hunde und der Schnellstraßen mit LKWs und Autos. Das einzig reizvolle an der Strecke ist der geschichtliche Hintergrund und dieses unmenschliche Zeitsoll. 246km zu laufen ist schon enorm und sicherlich auch etwas krank aber das in unter 36h mit über 1000 Höhenmetern bei meist 30 Grad und mehr ohne Schatten in praller Sonne und durch die Nacht zu tun, ist nochmal eine ganz andere und besondere Herausforderung. Reizvoll ist auch, dass man über eine Woche mit Athleten aus aller Welt zusammen ist und auf der Strecke das ein oder andere interessante Gespräch führen kann, was man auf anderen Ultras allerdings auch kann. Meist ist man beim Spartathlon mitten in der Nacht mit sich selbst und dem was so herum kreucht und fleucht alleine. Das hat auch was und ich genieße diesen Streckenabschnitt sogar und sag mir immer "Das ist auch dein Urlaub, nicht nur ein Rennen. Vollmond, Grillen zirpen, keine Handys, keine nervigen Kollegen, absolute Ruhe, nur du und die Natur. Die sternenklare Nacht und viel Zeit um sich über sich selbst und vieles klar zu werden - nachzudenken, in sich zu ruhen, sich am Leben fühlen und dankbar dafür zu sein, dass dem so ist."
Was aber mache ich jetzt? Entweder akzeptiere ich, dass ich in diesem Rennen meinen Meister gefunden habe und es nie beenden werde und mache etwas anderes, oder ich akzeptiere das nicht und versuche es weiter, das Rennen eines Tages zu beenden. Es ist einfach DIE Bestätigung aller Ultraläufer hier einmal zu finishen. Tatsache ist allerdings, dass es dafür nie eine Garantie gibt. Du kannst noch so gut vorbereitet sein und noch so sehr ankommen wollen. Auf deinem Weg nach Sparta kann dir so viel Unvorhergesehenes passieren, was dein Vorhaben scheitern lässt und du läufst immer auf Messers Schneide. Es ist immer ein Risiko hier zu bestehen. Egal wie erfahren du bist, egal wie oft du schon angekommen bist oder auch nicht. Jedes Mal wenn du an der Startlinie dieses großen Events stehst, muss für dich an diesem Tag einfach alles stimmen. Ohne Probleme kommt hier niemand durch. Der Spartathlon stellt dir permanent Fragen und wenn du die Antworten darauf nicht kennst, ist es vorbei.
Neutral betrachtet und ohne philosophisch zu werden: Ich startete jetzt dreimal beim Spartathlon und habe ihn dreimal nicht geschafft. Bin ich dafür zu blöd? Kann ich es nicht? NATÜRLICH KANN ICH ES!!! Beim ersten Mal hat mich das Wetter unvorbereitet überrascht, weil dieses Wetter von 2018 dort unnormal ist. Eine Jacke mehr, entsprechend Nahrung ab 220km oder keine anatomischen Probleme um besser laufen zu können, hätten mich mein Ziel längst erreichen lassen. Zudem das kalte Wetter eher meins ist als die Hitze. Wir haben auf diesem Rennen aber nunmal in der Regel mit Hitze und nicht mit Kälte zu tun. Beim 2. Mal habe ich die Hitze unterschätzt. Ich lag am Vortag eine Stunde in der Sonne, trank verkehrt und zu wenig, führte nicht genügend Salz zu und die Folge - ich erlag schrecklichen Krämpfen und konnte mich nicht mehr rühren. Der Kreislauf brach aufgrund der enormen Schmerzen fast zusammen. Bis ich die Krämpfe beseitigt hatte und die Antwort darauf, also mehr Salz und Flüssigkeit zu mir nehmen erkannte, war meine Zeit abgelaufen und ich wurde aus dem Rennen genommen.
Tja und jetzt beim dritten Mal? Da habe ich zwei Theorien. Entweder hatte ich einfach mal Pech und meine Muskeln hätten mich auch daheim bei einem normalen Training auf 40km in der Hitze im Stich gelassen, oder ich ging die Sache zu verkrampft an. Ich wollte das Finish so sehr das ich mich nicht nur darauf fokussierte. Nein, ich erdrückte mich damit. Ich war so auf das Ankommen müssen fixiert, dass ich innerlich völlig verkrampfte und mir mein Körper nicht mehr so gehorchte wie ich es von ihm gewohnt bin. Ich trank richtig, nahm Salz und Mineralien zu mir, es ging mir eigentlich bis auf die Oberschenkel gut. Mental aber hatte ich Angst zu versagen, Angst vor dem was noch kommt und weil mein Kreislauf anfing zu spinnen, bekam ich noch Angst vorm Kollabieren. So taumelte ich bei km 140 in die Verpflegungsstelle und jedes Mal wenn ich stehen blieb wurde mir schwindlig. Mit diesem Schwindel und kaum vorwärts kommend weiterlaufen zu wollen wäre dumm und grob fahrlässig gewesen. Ich musste ins steile Gelände und war mittlerweile Letzter im Rennen und bis man mich da zusammengebrochen gefunden hätte, währe es unter Umständen zu spät gewesen. Dieses Risiko konnte ich nicht eingehen. Hätte ich mehr darauf gesetzt ankommen zu wollen, wohl wissend das ich das Zeug dazu habe und mir einfach gesagt das ein Ankommen keine Garantie ist und ich mal schaue wie weit ich komme, natürlich mit dem Ziel das Ganze zu beenden, währe der Druck weg es unbedingt schaffen zu müssen. Durch diesen enormen Druck blockierte ich mich selbst so sehr, dass ich gehemmt war. Wie einem Kugelstoßer dem der Arm versagt.
Ich will das Finish nicht um jeden Preis aber ich weiß das ich dafür geschaffen bin und das ich es schaffen kann. Aus jeder Niederlage geht man gestärkt hervor, weil man aus den gemachten Fehlern lernt. Es wird immer andere Probleme im Verlauf des Rennens geben. Die Frage ist nur ob man in dem Moment in der Lage ist, dieser Probleme Herr zu werden. Viele schlaue Tipps bekam ich von außen das Ganze sacken zu lassen, in ein paar Jahren nochmal anzugreifen usw. Ich für meinen Teil sag mir allerdings - worauf warten? Wenn mein Ziel ist hier zu finishen dann sollte ich das Eisen schmieden solange es noch heiß ist. Ich muss aber meine Einstellung dazu anpassen und zwar dahingehend, dass ich beim 4. Start nicht sehe, dass ich bereits dreimal versagt habe. Mein Plan sieht so aus, dass ich mich in vier Wochen beim 24h Rennen in Brugg in der Schweiz mit 180km erneut für einen Startplatz qualifizieren möchte und sollte mir dies gelingen, werde ich das restliche Jahr 2021 ruhig ausklingen lassen. Ich will meine Verletzungen ausheilen lassen, mal was anderes tun und denken und im Jahr 2022 mit neuem Mut, neuer Kraft und mentaler Stärke wieder ins Training einsteigen mit dem Ziel Sparta 2022 klar vor Augen. Allerdings will ich diesmal mit dem Gedanken am Start stehen, zwar das Finish erreichen zu wollen aber wohl wissend das es nicht selbstverständlich ist. Ich weiß wer ich bin, ich weiß was ich kann, ich weiß was ich will aber ich weiß auch das es nicht selbstverständlich ist. Und dann schauen wir mal wie weit ich diesmal komme. Was vorbei ist, ist vorbei und nicht mehr zu ändern. Ein gewisser Druck ist gut aber zu viel Druck schadet und blockiert.
Ich möchte auch nicht missen hier klar Stellung dazu zu beziehen, dass es mir seit der COVID19 Impfung nicht mehr so geht wie vorher. Egal was man jetzt von mir denkt oder entgegen der Meinung der Meisten, dass ich mir das ja nur einbilden würde. Ich kann Ihnen sagen das meine Leistungsbereitschaft seit der Impfung leider abgenommen hat. Ich habe das bereits im Training gemerkt. Ich kann zwar laufen und Leistung bringen aber ich bin nicht mehr so schnell wie vor der Impfung und meine Muskeln fühlen sich teilweise wirklich träge an. Es muss ja das eine nichts mit dem anderen zu tun haben aber vor der Impfung hatte ich diese Probleme nicht. Ich hoffe ja darauf meine alte Form wieder zu erreichen aber irgendwas hat sich in meinem Körper danach verändert. Ich freue mich dennoch das ich starten durfte, wieder mal ein halbwegs normales Event erleben konnte und ich will auch die Impfung nicht bereuen, weil ich es nicht mehr ändern kann. Hätte ich drauf verzichten können, währe ich heute noch ungeimpft aber - man zwingt uns ja mehr oder minder dazu. So oder so lasse ich mich nicht unterkriegen. Ich hole mir die Quali, bewerbe mich um einen weiteren Startplatz und versuche mich mental soweit in den Griff zu bekommen, dass ich mein Ziel erreiche. Denn körperlich bin ich dazu in der Lage. Das habe ich bereits 2018 mit 221 gelaufenen Kilometern unter Beweis gestellt. Und auch die 140km hier sind nicht mal eben gelaufen. Auch das erfordert hartes Training und Disziplin. Sagen Sie mal Ihrem Arzt was ich mir zu dem Zeitpunkt gesagt habe "Mein Gott es sind doch nur noch 100km die hast du doch im Griff!" Die meisten haben ein Problem damit mal zwei Stockwerke ohne Fahrstuhl zu laufen oder 5km zu gehen. Unsereins wundert sich warum man bei 140km Probleme bekommt weil man es als Selbstverständlich ansieht, was es aber nun mal nicht ist. Der Mensch ist für´s lange Laufen geboren und bis Marathon ist das ok. Darüber hinaus kann ich das für meinen Teil bis ca. 100km kalkulieren und es ist nicht mehr wirklich gesund aber darüber hinaus ist es nicht mehr kalkulierbar und es ist alles möglich. Die Angst davor einfach umzukippen ist, wie soll ich sagen, dahingehend unbegründet, weil einem das überall und selbst daheim auf dem Sofa passieren kann. Zumindest wenn man als gesunder Läufer diese Distanzen angeht. Ich gebe zu, es ist nicht immer alles Spaß und toll und nicht jedes Märchen geht gut aus. Ich kann Ihnen sagen, ich hatte Angst vor diesem Rennen und im Rennen selbst und das ist nicht gut. Respekt muss man haben, Angst aber nicht. Wenn man sich selbst blockiert kann man noch so gut vorbereitet sein, klappt es nicht.
Also machen wir weiter, denn was soll man auch sonst tun? In Frage stellen kann man bekanntlich alles: Warum laufe ich, warum lebe ich, warum bin ich hier? Zeitverschwendung. Ich gehe am 23. Oktober nach Brugg und laufe dort in 24h entweder 180km für die Quali, mehr als 180km oder verdammt nochmal auf´s Podium. Wenn nicht werde ich einsehen, dass ich meinem Körper eine Pause gönnen sollte, um Kraft für derartige Schweinereien sammeln zu können. Ich hätte mir einen schöneren Bericht gewünscht und die Niederlage schmerzt wirklich hart. Sie zerstört mich aber nicht. Ich habe Charakter!