Die 24h in Brugg - Wer sie als Niederlage sieht, brauch sich weder mein Freund nennen, noch hat er davon Ahnung!

Harry am Start beim 24h Lauf in Brugg

Wer Märchen mit einem guten Ende lesen will, der wendet sich bitte an die Brüder Grimm. Happy End Storys bekommt ihr in Hollywood. Bei mir lest ihr über das wahre Leben. Man kann sich nicht einfach an den Start von einem 24h Rennen mit dem Vorsatz stellen, mal eben 180km hin zu rotzen. Das geht auch nicht wenn man sich sagt "Ich habe doch so brav trainiert und Sparta war mir nicht gegönnt und jetzt schreibe ich Heldengeschichte!" Im Traum, mit dem Mundwerk, bei Film und Fernsehen vielleicht aber leider nicht immer in der Realität. 

Ich reiste mit dem Vorsatz nach Brugg, die Qualifikation für den Spartathlon 2022 zu holen und was ich verspreche und mir vornehme, das halte ich auch. Selbstverständlich war und ist mir bewusst, dass ich in Brugg nicht zu optimalen Bedingungen starten würde, weshalb ich weder ein Versager, noch zu alt bin. Oder was für blöde Aussagen Kollegen und Unwissenden noch so alle einfallen. Mal kurz die Fakten: Ich lief beim Spartathlon 2021 140km nonstop in 18h bei Hitze, verkehrsbelebten Straßen und anderen Widrigkeiten, die da dazugehören. Knapp vier Wochen später wollte ich also jetzt in Brugg 180km in 24h bei 10 Grad plus tagsüber und 2 Grad plus Nachts laufen. Das ist zwar nicht unmöglich, doch muss man bedenken, dass ich meine bislang beste Leistung über 24h bei guten Bedingungen im Sommer gelaufen bin. Man hat mich nicht zu einer Impfung gezwungen, ich hatte keine langen Klamotten an, die Versorgung passte und ich war körperlich voll fit. Weil man es sich im Leben aber nicht immer aussuchen kann, blieb mir keine andere Wahl als es hier zu versuchen. Also startete ich bei für mich sehr angenehmen Temperaturen um die 15 Grad herum mit Sonne und peilte von Anfang an mein Ziel, die 180km sogar zu brechen, an. Kurz nach Marathon musste ich aber feststellen, dass der mittlerweile frische Wind und meine schmerzenden Sehnen damit nicht so ganz konform gingen und ich begann schon recht früh mit Gehpausen in diesem Rennen. Ich wunderte mich warum es heute so schwer lief und das ging nicht nur mir alleine so. Das ist ja eigentlich mein Wetter! Aber es ist eben ein Unterschied ob man das über 5-6h im Training hat oder über 24h. 

 

Aber das sollte mich erst einmal nicht weiter kümmern, denn ich war gut dabei. Trotz aller Quälerei, was aber für jemand, für den 2km zu gehen schon eine Anstrengung ist nicht nachvollziehbar ist, lief es bis 81km erst mal völlig nach Plan. Ich loggte diese nämlich in 9h15min ein. So sollte es weiter gehen, immer Sparta im Sinn, also 100km unter 12h. Dieses Vorhaben lief dann aber nicht mehr nach Plan. Ich fror äußerlich nicht und es ging mir auch innerlich nicht schlecht aber ich konnte von der Kraft her mit meinen Bändern, Sehnen und Muskeln jetzt einfach nicht härter und schneller laufen. So nahm ich bei km 95 mal ein Reisgericht zu mir und das hat gut getan. Ansonsten konnte ich das Essen gut bei mir behalten und auch die Hydration passte, was die regelmäßigen Toilettengänge bestätigten. Dennoch lief ich erst nach 12h auf 100km ein und mir wurde langsam bewusst, dass die 180km in 24h extrem knapp werden würden. Nicht unmöglich, noch nicht, aber verdammt knapp. Eigentlich nur zu schaffen, wenn ich weiterhin laufe und zwar mit fast keinen Stops. Nur das Nötigste. Leider hielt ich aber alle 2-3 Runden an, um entweder zu essen, die Toilette aufzusuchen oder einfach mal kurz zu sitzen. Viel zu früh im Rennen! So schwand meine Zeit und meine Laufleistung bewegte sich auf 8;25min/km, wenn ich schnell war. Es half nichts, mein gesamtes Fahrgestellt tat weh und ich wurde einfach nicht schneller. Ich zog mir was Langes über weil ich glaubte, es würde mir helfen schneller zu laufen, weil es Energie spart - eine Verzweiflungstat. Nach 2 Runden warf ich die langen Klamotten wieder ab, es war mir zu warm. Das kostet natürlich alles Zeit. Jetzt wurde es wirklich eine Quälerei und der Spaß verging mir langsam. 

 

Meine liebe Freundin Christiane meldete sich für den 12h Lauf an und ich redete mir die ganze Zeit ein "Warte nur wenn Christiane da ist. Da werden wir gemeinsam Spaß haben. Wir werden zum ersten Mal zusammen laufen, weil ich diesmal nicht schneller als sie laufen kann. Und wenn ich es doch kann, um so motivierender wenn sie sich freut wie das nach der Belastung noch geht. Außerdem freue ich mich für sie wenn sie an ihre 70km heran laufen würde, Chrissi kam schon, nur leider konnte ich mit ihr nicht mehr mithalten. Die vier Stunden die wir gemeinsam auf der Strecke waren, sah ich sie genau zweimal. Und das auf einer Runde von 940m. Unglaublich wie weit man doch auf einer kurzen Runde auseinander sein kann - so nah und doch so weit... Ich rechnete mir meine Chancen aus, begriff das ich langsam leistungsmäßig am Ende war, keine Unterstützung zu erwarten hatte, der Veranstalter nach 13h kein warmes Essen mehr hinstellte, was eine Sauerei für einen 24h Lauf bei der Startgebühr und Werbung ist die er machte und ich auch nicht wusste, wie ich aus der Nummer jetzt raus kommen soll. Soll ich mich weiter schinden um jeden Preis bis zur letzten Minute und bei vielleicht 170km oder evtl. nur 156km aussteigen oder steige ich jetzt aus? Was will ich jetzt definitiv erreichen? Wie wichtig ist mir eine evtl. gute Platzierung? Keine Schnellschuss Entscheidung! Ich sah das es im Startbereich eine Feuerschale gab und dort setzte ich mich hin mit dem Gedanken "Ihr könnt mich alle mal am A...", ihr kennt den Satz. Ich schaute gedankenverloren wer weiß wie lange auf die Strecke. Es war schön hier. Wir hörten Musik und ein paar Jugendliche erfreuten sich an uns Spinnern die da 6h, 12h, 24, oder sogar 48h bis zur völligen Erschöpfung liefen. "Langsam solltest du auch wieder laufen oder aussteigen denn bei 2 Grad hier zu sitzen ist sehr gefährlich." Das war der letzte klare Gedanke den ich noch fassen konnte, bevor sich mein Kreislauf nun aggressiv versuchte zu verabschieden. Verdammt! Ich versuchte aufzustehen frei nach dem Motto, fährt der Kreislauf runter, musst du laufen! Das habe ich vom Ditmar gelernt aber das funktionierte nicht, weil sich alles drehte und ich mich schneller wieder auf dem Boden fand als mir lieb war. Da mir keiner half, zog ich mich an einer Biergarnitur hoch und legte meinen Oberkörper auf einen völlig verdreckten Tisch, was mir gerade mal scheißegal war. Ich blieb liegen und ging in mich, versuchte mich zu beruhigen, schwor mir nie mehr sowas zu machen und hoffte das die Übelkeit und der Schwindel verschwanden. 

 

Das passierte zum Glück tatsächlich. Mein allerletztes Vorhaben für heute war, jetzt irgendwie zum Sanitäterzelt zu kommen, wo man mir hoffentlich helfen und mich ins Warme lassen würde. Ich fror jetzt - logisch, der Kreislauf war unten. Ich schleppte mich über eine halbe Runde wie ein Zombie dorthin. Viel wärmer war es nicht, aber besser als draußen. Auf den kalten Steinboden ließ ich mich sinken. Ein Sani sagte mir, ich soll bitte aufstehen und mich in den Ruheraum legen, den ich zuvor nicht entdeckt hatte. Dieser Sani war dann nicht mehr gesehen. Hilfe gab es erst mal keine. Wäre ich kollabiert hätte das zunächst keine Sau bemerkt. Ich ging in den Ruheraum und dachte mir "ich versaue Christiane das Rennen jetzt nicht." Ich lass sie laufen und ihren Spaß haben. Ich ruhe mich aus und die letzten Stunden werde ich mit ihr Hand in Hand gehen und bei ihr sein und mich mit ihr freuen und selbst noch ein paar Runden drehen und ein paar blöde Sprüche klopfen oder so." So der Plan. Schlafen konnte ich nicht, es kreisten die Gedanken, nicht doch nochmal laufen zu können, die Zeit schritt voran. 16h waren mittlerweile vergangen. Ich erhob mich von der Werkbank auf der ich lag und schleppte mich zur Verpflegung. Dort angekommen, bettelte ich um warmes Essen, das es immer noch nicht und wohl auch gar nicht mehr gab. Eine Sauerei! Bei den Temperaturen... Die Nudeln lagen in der Kammer hinter der Verpflegungsstelle, aber es machte sie keiner! Vielen Dank nochmal an dieser Stelle für den tollen Service! 

 

Wenigstens hatten sie warmen Tee, aber das half mir jetzt auch nicht wirklich. Da kam der Christian ums Eck und fluchte wie kalt es doch sei. Er ist ein recht guter Läufer und erfahrener als ich es bin und wenn der schon kämpft.. Gut, ich bin auf 24h kein Depp und auch Top 10 Läufer aber es gibt natürlich da schon einige Klassen Erfahrenere als ich es bin. Der nicht dumm, ging ins Sanizelt und weil kein Sani da war, packte er sich eine Decke und meinte "Willst auch eine?" Ich nahm dankend an. Wir saßen im Sanibüro, wo eigentlich Sanis und Schwestern hätten sitzen sollen. Die konnten da nicht anwesend nun nicht meckern, also genossen wir den leeren Raum mit seinem Heizstrahler und den warmen Decken. Chrissi hat sich mittlerweile auch zu uns gesellt. Ihr war auch kalt. Sie konnte auch kein Tempo mehr auf die Strecke bringen und um gemeinsam spazieren zu gehen, war es einfach zu kalt da draußen, wenn man völlig entkräftet ist. Ich motivierte sie noch weiterzulaufen aber sie hatte keine Lust mehr. Also fällte ich ebenfalls die Entscheidung jetzt aufzuhören. 114km sind gelaufen, 7h30min hätte ich noch Zeit, 66km müsste ich packen. Wenn mir die 100 Meilen unter 21h gelingen würden, hätte ich ebenfalls die Quali. Dafür hätte ich 47km in jetzt noch 4h20min laufen müssen! 7h30min für 66km klingt viel und heute frage ich mich natürlich wie so oft, hätte das nicht klappen können? NEIN! Wenn es geklappt hätte, hätte ich es auch getan! Natürlich soll man niemals nie sagen. Aber wenn man sich um 9min/km herum bewegt und ein bisschen rechnen kann, was da auf 10km raus kommt, weiß man, es ist nicht möglich gewesen. Und nein, es lag auch nicht an Christiane! Wenn sie weitergelaufen wäre, wäre ich trotzdem erst mal im Warmen geblieben und vielleicht später nochmal raus gegangen. Ich wusste ja, dass mein Vorhaben nun nicht mehr gelingen konnte. Wie gesagt, ein paar Kilometer mehr oder weniger hätten mir jetzt auch die Quali nicht gesichert. Und deswegen machte ich den Kram hier doch überhaupt nur. Lange Distanzen von A nach Be in Frage zu stellen ist eine Sache, aber 24h auf 940m im Kreis zu laufen bis man 180km zusammen hat, da braucht´s schon gute Gründe :) 

 

Und Christiane hätte für mich im Warmen gewartet wenn ich weitergemacht hätte. Wir sind eben füreinander da. Sich jetzt aber bis aufs Äußerste für nichts zu quälen ist Blödsinn. Noch dazu, wenn der Kreislauf schon in die Knie ging. Warum der das tat? Naja da gibt es viele Gründe. Überlastung nach über 16h Belastung, Koffein überdosiert, zu lange an der warmen Feuerschale gesessen usw. Wer an der Grenze arbeitet, muss auch Rückschläge hinnehmen können. Es gibt nicht nur Siege und Spaß. Aber jedes dieser Rennen bringt einen weiter an Erfahrung und dennoch ist immer auch Freude dabei. Man kommt raus, erlebt was, trifft nette Leute und erfährt von so verrückten Dingen wie, dass es in Schweden ein paar Spinner gibt, die auf einer 250m Indoor Laufbahn ein 100 Meilen Rennen planen, nur um eine Quali für den Spartathlon haben zu können. Ob sie das mit Corona und anderen behördlichen Auflagen bis Ende Januar 2022 hin bekommen weiß ich nicht. Deshalb suchte auch ich am Morgen danach schon nach der nächsten Möglichkeit, doch noch eine Chance auf den Spartathlon 2022 zu erhaschen und fand diese! Es gibt einen 100 Meilen Lauf über 10 Runden in Nordstemmen Adensen - klingt schon so heldenhaft männlich... Gefällt mir. Diese Chance nehme ich wahr! Man soll ja gute Vorsätze für das neue Jahr haben. Wenn ich also vom 31.12.21 auf den 01.01.22 100 Meilen mit dem Vorsatz laufe, Sparta 2022 als Finisher beenden zu können, gibt es ein besseres Omen? 

 

Natürlich gibt es auch hierfür keine Garantie denn die Läufe zu möglichst guten Bedingungen sind für die Quali leider gelaufen. Dann würde ich das komplette Jahr 2022 verlieren und für 2023 planen müssen. Zu verlieren habe ich aber nichts! Es ist möglich wenn ich gut drauf bin und alles gut läuft. Selbstverständlich kann es schneien, regnen, kalt sein, usw. Lange Klamotten werde ich wohl auch tragen müssen - es wird hart, aber es ist eine Chance. Da das Wort "aufgeben" in meinem Wortschatz nicht vorkommt, nehme ich die Chance dankbar an. Meine treue Freundin Christiane ist mit von der Partie und wird die Sache mit dem Rad überwachen, dass ich mich ja nicht verlaufe. Ich bin weder zu alt, noch bereit aufzuhören. Wie gesagt wer immer nur Spaß und Leichtigkeit sucht, wird dies im Ultralauf nicht finden. Es sei denn man läuft nur zum Spaß. Nur zum Spaß kann man aber einen Spartathlon nicht laufen. Man kann nur zum Spaß an einem 24h Lauf teilnehmen mit dem Vorsatz, einfach mal zu schauen was da geht und wenn eben nix geht, aufhören. Wer 180km auf 24h haben will, kann sich weder Zeit lassen, noch nur Spaß haben. Und ich bin keiner derjenigen die nur Erfolge auf ihre Webseiten stellen um die Sponsoren zu befriedigen und die schöne heile Sportwelt vorzugaukeln. Wer meine Berichte liest, der liest sie, weil sie mit allen Höhen und Tiefen aus dem wahren Leben sind, wie sie jeder selbst auf seine Art und Weise und seinem Level erlebt. Egal ob Studium, Job, Sport, oder was auch immer. Es gibt nicht immer nur Erfolge!

 

Dennoch ist das hier keine Niederlage denn a) bin ich 114km in 16h bei kalten Temperaturen gelaufen - frag Dich mal, wann DU das zuletzt getan hast...? b) bin ich von 37 Startern Position 21 und das, obwohl ich 7h30min eher ausgestiegen bin. Zum besseren Verständnis: Währe ich so eine Niete, müsste ich doch eigentlich Letzter sein! Hier starteten nur gute Leute, was man an den Top 10 wieder ablesen kann. Freu Dich schon heute auf meinen Bericht vom 100 Meilen Lauf aus Nordstemmen, der so oder so spannend wird. Die 100 Meilen werden gelaufen - und wenn ich sie kriechen muss! Oder soll ich sie doch lieber Griechen....?