Ob es geht oder nicht, erfährt man nur wenn man´s probiert - Halts Maul und paddel!

Ein lang ersehnter Traum ging endlich in Erfüllung! Seit über 20 Jahren wünsche ich mir surfen zu dürfen und einmal das Gefühl und den Unterschied zum Snowboarden erleben zu können. Wie setzt man das aber um wenn man die Wellen nicht sieht?...

Ich will es unbedingt und ich will es seit über 20 Jahren. Das habe ich mir gedacht als ich spontan im Juli, ca. 2 Monate vor meinem großen Event dem Spartathlon 2019, einen Trip über Pure Surf Camps nach Molites in Südfrankreich gebucht habe. Dort wurde ich mit dem Bus hingefahren und ich konnte mir einen Anfängerkurs buchen. Das macht aus zweierlei Hinsicht Sinn. Ich habe keinerlei Erfahrungen mit derart hohen Wellen und keine Ahnung wie man überhaupt surft und auf die Welle drauf kommt und es gibt die Gefahr der Strömung, die einen nach draußen zieht und man nicht mehr an Land kommt, wenn man nicht weiß wie das geht. Blöd dabei ist allerdings meine Sehbehinderung und die muss ich in diesem Fall leider auch erwähnen. Es ist ja sonst komisch wenn der Surflehrer sagt "da draußen siehst du die Welle? Die kannst nehmen" und ich gerade mal 10m vor mich sehen kann. 

 

Ich musste also einen Weg finden, wie ich diese Probleme löse. Kann ich den Channel (die Strömung nach draußen) erkennen und kann ich die Wellen erfühlen? Könnten mir die Intervalle helfen und wie meine Position bestimmen wo und wie mich die Welle treffen wird? Windsurfen bin ich schon gewesen und das hat auch Spaß gemacht. Das Wellenreiten war es aber, was mich von Anfang an am meisten interessierte. Kurzum ist es so, dass man die Welle rechtzeitig erkennen muss, sich auf dem Brett positioniert und zwar so, dass die kommende Welle im Rücken ist. Jetzt beginnt man zu paddeln um auf die Geschwindigkit der Welle zu kommen und zwar so lange, bis man merkt, dass einen die Welle erfasst. Dann kommt der Take off (also aufstehen) und dann wird gesurft. Anders als beim Snowboarden steuert man das Brett nicht über die Kanten mit den Beinen, sondern über die Bewegung des Oberkörpers und im tiefen Stand. Beim Snowboarden kann ich auch bestimmen wie schnell ich fahre oder einfach stehen bleiben. Beim Surfen geht das nicht. Die Welle gibt die Geschwindigkeit vor. Ich kann diese zwar etwas verringern oder beschleunigen, wenn ich mich entsprechend auf dem Brett bewege, allerdings kann ich sie nicht kontrollieren. Ich kann nicht mal eben anhalten und ich muss auch dann aufstehen und surfen, wenn mir die Welle das vorgibt. Ich kann nicht sagen, ich brauche noch ein paar Sekunden. Kann man nun weit genug un dier Ferne blicken, kann man dadurch Zeit gewinnen.

 

Ich muss mir da anders helfen. Zuerst bestimme ich die Strömung die ich daran erkenne, wo die weißen Wellen sind. Wo weiße Wellen sind, die Welle also bricht und zu Weißwasser wird, ist keine Strömung aber daneben wo keine Wellen brechen, geht´s nach draußen! Profis nutzen das ja um schnell raus zu kommen und nicht so viel paddeln zu müssen, anschließend kann man dann zurück surfen. Ich musste zunächst lernen mit dem Weißwasser klar zu kommen. Also bewegte ich mich dort raus, wo diese zu finden waren. Jetzt musste ich fühlen und hören. Die Strömung kann man auch fühlen, denn das Wasser wird einem an den Beinen weggezogen und man fühlt die Richtung. Jetzt zählte ich die Intervalle wann und wie mich die Wellen treffen und ich erfühlte wo sie her kommt und auf den Strand treffen wird. Denn da wo sie her kommt, muss ich mich ja entsprechend mit meinem Brett positionieren. Jetzt aufs Brett und in Position legen und hören wo die Welle ist. Ich fand das richtigje Timing heraus wann ich anpaddeln muss und wie sich die Welle für mich anhören muss das es passt. Sie wird lauter und lauter bis sie dann auf einen trifft und ich weiß durch den Klang der Welle und mein Rhythmusgefühl genau, wie ich paddeln muss und ab wann der Moment kommt, wo die Welle einen erfasst. Diesen Punkt merkt man ganz deutlich, da das Brett hinten angehoben wird, die Welle einen mit nimmt. Jetzt muss man aufstehen und  los geht´s!

 

Das ist die Kurzfassung und mag sich einfach anhören. So einfach ist das aber gar nicht und braucht Zeit. Ich bin aber glücklich darüber das es machbar ist und ich will diesem Sport weiter treu bleiben. Ich will auch die großen grünen Wellen surfen können und lernen wie ich diese erwischen kann. Diese muss ich erwischen bevor sie brechen. Dazu will ich einen Fortgeschrittenen Kurs machen wo man mit einem Lehrer raus geht und lernt wie das Rausgehen kontrolliert funktionieren kann und in welchem Moment die grüne Welle genommen werden kann. Ich werde nie 4-5 Wellen voraussehen können aber ich kann anhand meines Gefühls trotzdem die ein oder andere kriegen und Intervalle bestimmen. Die Intervalle wann und wie die Wellen kommen, sind natürlich unterschiedlich und manchmal kommen die Wellen auch im Chaos. Dennoch haben sie eine gewisse Rhythmik. Der Strand ändert sich durch die Gezeiten und man würde ihn nicht wieder erkennen, wüsste man nicht wie es vorher und gerade jetzt ist. Muss man bei Ebbe auf eine Sandbank paddeln die sich auftut, ist diese bei Flut einfach weg und man kann an den Strand heranfahren bzw. schwimmen oder sogar gehen, weil das Wasser Hüfttief ist. 

 

Hier ist es einfach auch wichtig das man Toleranz erfahren darf. Ich verstehe beide Seiten. Die Lehrer haben Angst und können mich nicht einschätzen. Sie wissen nicht wie viel oder was ich sehe und wollen nichts riskieren. Ich wiederum kann schwer erklären was und wie ich es sehe, wenn ich keinen Vergleich habe. So muss man es versuchen und gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Der Lehrer muss wissen das ich meine Situation richtig einschätze und nicht fahrlässig handle und ich muss erkennen wie weit ich gehen kann und wo die Grenze ist. Wie im Alltag muss man einfach aufeinander zu gehen. Wenn man es nicht versuchen darf, wird man nie erfahren was geht und was nicht. Ich muss daher manchmal darauf verzichten meine Behinderung zu erwähnen was möglich ist, wen man ohne Kurs surft und weis was man da tut. Dann kann man den anderen Surfern im Lineup (also der Warteschlange auf die nächste Welle draußen) erklären das man schlecht sieht und die meisten Sportler gehen tolerant damit um, haben Respekt davor und helfen einem dann schon weiter. 

 

Unangenehme Erfahrungen gehören leider zum Surfen dazu. Da gibt es z. B. die so genannte Waschmaschine und die macht mir nun auch klar was es heißt, wenn eine Welle auf den Strand zu rollt. Wenn man sich verschätzt oder die Welle einfach zu stark ist, erfasst sie einen samt Brett und strudelt einen durch. Unglaublich wie viele Saltos man in 3 Sekunden schlagen kann. Man weiß nicht mehr wo oben und unten ist. Das Brett wird weggeschleudert und man selbst purzelt hinterher. Das ist nicht lustig, denn es ist alles unter Wasser. Hat man sich gerade angestrengt zu paddeln und zu wenig Luft dabei, bleibt einem nur Ruhe bewahren und abwarten bis das aufhört. Man kann nicht raus, wegtauchen, Luft holen. Das kann bis 10 Sekunden so gehen und die können lang werden. Je ruhiger man bleibt desto leichter übersteht man das denn machen kann man nichts anderes in der Situation. Kopf schützen das einen kein Brett von Mitsurfern oder sein eigenes erwischt und man unter Umständen bewusstlos ist und abwarten. Der Waschmaschine entgehen ist nur möglich wenn man vorher den Absprung schafft. Sobald sie dich oder das Brett aber erfasst hat, gibt es kein Zurück mehr. Ist das in der Nähe der Sandbank wie bei mir, darf man diese auch noch mit dem Gesicht küssen. Unbändige Kraft ist es was einen da trifft und man fühlt sich samt Board nur wie ein Zahnstocher mit dem das Meer sein Spiel treibt. 80% paddelt der Surfer und 20% hat er Spaß auf der Welle - daher "Halt´s Maul und paddel!" Dieser Satz ist mir insofern wichtig weil ich neben Ole einen englischen Surflehrer hatte - den Carlos. Der konnte nur Englisch. Die einzigen deutschen Worte die er kannte waren eben "halt´s Maul und paddel!" oder "Supergeil!" Ein netter Typ.

 

Man wird umher gewirbelt, herumgeworfen, man kämpft sich rein und das Meer wirft einen zurück bis man endlich auf seiner Position ist. So braucht man oft 10min um in diese Position zu gelangen und hat ein paar Sekunden Spaß die Welle zu reiten. Waschmaschine, herumwirbeln, Wasser schlucken und nach Luft japsen - akzeptieren oder bleiben lassen. Denn diese Dinge kann man bei diesem Extremsport Surfen nicht ändern. Trotzdem ist das Gefühl sowas von geil wenn man eine Welle hat und reiten kann und deshalb will man es immer wieder tun und versuchen. Deshalb bleibe auch ich trotz aller Gefahren und manchem unangenehmen Beigeschmack dabei! Jetzt muss ich mich voll auf Sparta fokussieren aber es wird immer eine Gelegenheit geben, diesem Sport als Ausgleich und einer anderen Belastung nachzugehen.