Die Schwerwiegende Entscheidung, drei Probleme sind eines zu viel beim Spartathlon 2018!

Der Spartathlon 2018 sollte DAS Rennen meines Lebens werden. Leider zwangen mich unvorhersehbare äußere Umstände, nach langem Kampf und über 220km, zu meiner schwerwiegenden Entscheidung, aus dem Rennen auszusteigen.....

Athen, 28. September 2018 um 04:30 Uhr: Der Wecker klingelt und es ist Zeit sich für das härteste Rennen der Welt fertig zu machen und zum Frühstücken zu gehen. Der Spartathlon, ein 246km Rennen von Athen nach Sparta, welches einen historischen Hintergrund hat und daher auch unter 36h zu bewältigen ist, ist mein absoluter Traum, der heute endlich Wirklichkeit werden soll. Ich bin gut drauf, unverletzt, nicht krank und guter Dinge, das Rennen mit meiner absolut guten Vorbereitung finishen zu können. Sogar das Wetter schien für mich zu sprechen, denn es war leichter Regen angesagt. Eigentlich ist der Spartathlon oft eine Hitzeschlacht und so kam es mir gelegen, dass wir mit angenehmen 24 Grad maximal zu rechnen hatten. Es war bewölkt und es nieselte ganz leicht. Das ist eigentlich ein super Laufwetter. 

 

Wir starteten das Rennen pünktlich um 07:00 Uhr morgens an der Akropolis und unser Ziel war die Statue von König Leonidas in Sparta. Für dieses Zeil also hatten wir jetzt bis 19:00 Uhr am Samstagabend Zeit. Ich war zwar ängstlich und voller Demut und Respekt vor der Distanz, aber es lief erstmal recht gut. Aus Athen raus und über Straßenschluchten und am Standstreifen der Autobahn entlang, bis zu den Raffinerien, wo es fürchterlich stank. Muss man bei einem Ultra kotzen und kann es nicht, sucht verzweifelt nach einem Brechmittel das es besser geht, hier geht es definitiv schnell, wenn dir schlecht ist. Schlecht war aber zu dem Zeitpunkt zum Glück noch keinem. Jetzt wurde es sogar angenehm mollig und ich musste mehr trinken und bedenken, dass ich sogar Reserve an Wasser mit auf die Strecke nehmen sollte, weil ich für 3km schon minimum 18min brauchen würde und alle 6min schon trinken sollte. 

 

Alles lief nach Plan und Korinth sollte ich auf jeden Fall unter 9h30min erreicht haben. Auch an den Checkpoints zwischen Athen und Sparta, müssen nämlich die Zwischenzeiten eingehalten werden. Man läuft folglich immer etwas dem Zeitlimit hinterher und muss aufpassen, dieses nicht zu überschreiten und sich dabei aber auch nicht zu übernehmen. In Korinth, bei 81km, sollte man sich "wohl fühlen" und die Muskulatur sollte noch locker sein. Es ist erst das erste Drittel, der Spartathlon so sagt man, fängt dann erst an!!

 

Ich fühlte mich in Korinth gut, musste zwar mal gehen dazwischen aber fühlte mich gut und erreichte es so in ca. 8h40min. "Jetzt kann ich es etwas ruhiger angehen lassen" dachte ich mir und sackte locker auf 7min20/km ab. Ich wollte mir die Energie einteilen, lief auf ankommen und nicht unbedingt auf Zeit. Die einzige Zeit die mich interessierte, war das Zeitlimit. Darin wollte ich mich bewegen, nicht zu nah am Limit und nicht zu weit davon entfernt. Das Bezahlen, wenn man zu schnell ist, würde man dann hinten hinaus merken. Kein Risiko. Ich habe so viel investiert, ich will mein Ziel nicht gefährden. Wochenende für Wochenende musste ich mir den Hintern aufreissen, Distanzen laufen und über 100km jedes Wochenende abspulen. Stunden um Stunden vergingen, heiß war es, lang war es, kaum Freizeit für was anderes. Familie und Freunde mussten sich dem Training anpassen, alles wurde um das Training herum gebaut von Job bis Haushalt und sozialen Kontakten. Es zählte nur das Rennen und das Finish dieser unmenschlich langen Distanz. 

 

Ab Kilometer 100 dann, nahm das Schicksal seinen Lauf. Es regnete und zwar heftig. Ich hatte nur eine dünne Regenjacke bei mir, weil ich auf Regen eingestellt war. Schließlich wurde dieser angekündigt. Allerdings war diese Jacke für das, was hier herunterkam zu schwach. Der Wind tat sein Übriges, dass es richtig kühl wurde. Ich holte mir am nächsten Verpflegungspunkt einen Müllbeutel und warf mir diesen über. "Du musst 60km Geduld haben, bis du deine dicke Winterjacke und lange Hose bekommst! Über 60km!" Das erste Mal dachte ich daran aussteigen zu müssen, weil ich es so nicht glaubte schaffen zu können. Da meine Energie aber noch gut war, versuchte ich es weiter. Ich wollte wenigstens den legendären Sangaspass kennenlernen und wissen, ob es wirklich so steil und schlimm dort ist. Auch sahen wir den ein oder anderen herrenlosen Straßenköter herumlaufen und einige davon folgten uns, taten uns aber nichts. Bellen taten nur die aggressiven Köter hinter Zäunen, die ein Anwesen bewachten. Wenn da natürlich ein Zaun kaputt gewesen wäre... naja. 

 

Ich betete und hoffte, kämpfte und quälte mich und wartete geduldig auf km 148, wo es langsam aber sicher bergan gehen sollte. Am Berg wird einem wenigstens warm. Endlich kam tatsächlich die Mountainbase und damit der steile Anstieg von über 1000 Höhenmetern auf 2km mit einem tollen Empfang auf dem Gipfel des Sangaspass. Dort bekam ich endlich meine langen Klamotten, einen Teller Nudeln und es ging mir wieder richtig gut. Ich stieg vorsichtig ab und war voller Zuversicht. Jetzt müsste ich es eigentlich schaffen können. Ich bin den Berg schnell genug hinaufgestiegen und mein Zeitfenster sagte mir, dass ich nun bei 24h30min km 172 erreicht haben muss, damit ich im Soll bleibe. Das schien möglich, ich hatte über 1h Puffer dafür und war gut unterwegs. Das Wetter verbesserte sich deutlich und es regnete nicht mehr. Zwischendurch dachte ich, ich würde bei Tageseinbruch sogar die Hose abschneiden um eine kurze Hose zu haben. Dennoch war ich mit der Entscheidung sehr vorsichtig und behielt brav alles an was ich hatte.

 

Es schein wärmer zu werden und ich hoffte auf wolkenbedecktes und warmes Wetter, vielleicht auch ein paar Sonnenstrahlen. Pustekuchen! Es begann bei km 195 wieder richtig heftig zu winden und zu regnen. Die Straßen verwandelten sich in Bäche, Pfützen überall, an einigen Orten gingen Schlammlawienen runter und es wurde über Rennabbruch nachgedacht, was wir Läufer auf der Strecke so nicht mitbekommen haben. "46km sind es nur noch, die kriegst du auch noch rum!" Ich hoffte es so sehr, merkte aber langsam, dass ich tierisch Hunger bekam. Es gab an den Stationen nur lauwarme Suppe, Tee, Wasser und Cola. Ein bisschen aufgeweichten Kuchen und Schokolade aber keine Nudeln, Kartoffeln, Joghurt, nichts dergleichen mehr. Die Griechen soffen mit ihren Verpflegungspunkten nahezu ab. "Arme Athener. Erst im Sommer verbrennen sie, jetzt ersaufen sie im Regen." Das dachte ich mir so und sagte mir immer wieder "ich kann es, ich will es und ich schaffe es!" Ich konnte langsam nicht mehr. Kilometer 216 kam schleichend und zehrend näher. Ich kühlte immer mehr aus und das Schlimmste daran, seit 16km kämpfe ich mit meiner linken Sehne am Fuß, die tierisch schmerzte. Ich konnte nicht mehr richtig laufen und ich konnte auch kaum sauber gehen. "Wenn du nicht läufst, wirst du erfrieren!" Wenn ich wenigstens warmes Essen hätte....

 

So hatte ich drei Probleme: 1. war ich bis auf die Knochen nass und fror, 2. bekam ich nichts mehr warmes zu essen und 3. konnte ich nicht schnell genug laufen um warm zu bleiben. Ich versuchte verzweifelt noch den Fuß zu dehnen, was natürlich in der Kälte kaum machbar war. Der Fuß verkrampft dann und wird nicht locker, wenn alles friert. Der Körper fängt zudem bei Unterversorgung irgendwann an, seine Eneergie auf die lebenswichtigen Organe zusammenzuziehen und versorgt die Extremitäten nicht mehr richtig, sondern zieht alles auf seine Mitte hin. Es war vergebens so warm zu werden. Was tun? Glaubte ich bei 216km noch fest daran, den Leonidas zu erreichen, war ab jetzt bei km 220 definitiv klar, dass ich aussteigen muss und werde. Kein Zweifel, kein Überreden, es war vorbei! Zwischen den zwei Verpflegungspunkten 65 und 66, steuerte ich humpelnd und frierend einen Bus an und bat um Hilfe. Ich stieg zitternd ein, konnte kaum noch sprechen und ließ mich erschöpft nach über 32 Stunden zum ersten Mal durchlaufend auf einen Sitz plumpsen. Ich bekam zwei Rettungsdecken übergeworfen und warmen Tee, wurde aber nicht warm. 

 

Man nahm mir den Chip und die Nummer ab und informierte die Organisation das die Startnummer 15 aussteigen musste. Weiter zu laufen wäre keine mentale Stärke gewesen, es wäre einfach nur saudumm gewesen! Saudumm deshalb, weil ich wusste, dass es jetzt um mein Leben ging! Wenn ich weiter gelaufen wäre, wäre ich vermutlich auf der Strecke zusammengebrochen, ich kam eh kaum noch vorwärts und fror. Die Läufer hinter mir waren selbst mit sich so beschäftigt und nach dieser langen Zeit so müde, dass keiner von denen mir hätte helfen können. Bis die Hilfe geholt hätten, hätte ich vermutlich keine mehr gebraucht. Wenn deine Körpertemperatur unter 36 Grad zu fallen droht, ist der Spaß vorbei und man begibt sich in Gefahr! 

 

Ich wollte nur ins Hotel und ins warme Bett. Es wurde der Krankenwagen gerufen und ich wollte aufstehen, um dem das zu erklären. "Are you felling good?", ob es mir gut ginge, wurde ich auf Englisch gefragt. Soweit alles ok, entgegnete ich, stand auf und plumpste gerade dem Doktor auf die Liege, die vor dem Bus auf mich wartete. Der Kreislauf haute mir ab, ich war nicht in der Lage viel zu sagen oder aufzustehen. "Warum hast du es nur wieder so weit ausreizen müssen?", dachte ich noch so bei mir und lag wieder im Regen, bis man mich ins Auto verfrachtet hatte. Die Organisation wurde darüber informiert, dass man mich im Krankenhaus von Sparta abholen könne, sobald ich stabil sei. Ich fing mich schnell wieder, nachdem mir wärmer wurde. Die nassen Klamotten runter und unter die Kuscheldecke vom Doktor, dann war alles gut. Nach langem Hin und Her im Krankenhaus und meiner Unterschrift, dass ich mich selbst entlasse, durfte ich endlich mit dem Taxi ins Hotel fahren und suchte dort mein Zimmer auf. Erschöpft, langsam und fertig bewegte ich mich auf mein Zimmer und direkt ins Bett, wo ich bis zum kommenden Morgen um 07:00 Uhr durchgeschlafen habe. 

 

Ich war traurig, dass ich nicht gefinisht habe. Ich fing auch an, meine Entscheidung jetzt das erste Mal anzuzweifeln. Ich wusste genau, dass es nichts zu zweifeln gibt! Finish oder Leben? So unterkühlt ging es nicht weiter. Neue Klamotten, etwas zu Essen oder das Nachlassen der Schmerzen an der linken Fußsehne hätten mich schon noch retten können. Da nichts davon eintraf, konnte ich nicht anders entscheiden. Mein Leben riskieren wollte ich ja dafür jetzt nicht, nicht für ein Finish! Ging ja nicht um Leben und Tot, wenn es auch um viel für mich ging und mir der Spartathlon alles bedeutet. Ich will aber auch heil und ohne Spätfolgen wieder heim und habe daheim versprochen, auf mich aufzupassen und nicht leichtfertig zu handeln. Mental hart sein muss man, wenn man sowas machen will. Mental fit und auch gesundheitlich absolut 100% beieinander. Mental fit hat aber nichts mit dumm zu tun! Man muss seinen Körper und seine Grenzen kennen und ich muss mich dafür nicht rechtfertigen. Ich habe instinktiv richtig gehandelt und lebe daher noch und bin wohlauf. Ich werde das Rennen 2019 erneut versuchen, weil ich das Finish unbedingt will. Ich war auch nicht bei der Statue weil ich mir wünsche, sie das erste Mal erst dann erblicken zu dürfen, wenn ich das Finish erreicht habe. Und daran werde ich nun gezielt arbeiten und hoffen, dass mir das bisschen Glück dafür vergönnt ist, es zu schaffen. Neben meinem eisernen Willen, meinem starken Körper und guter Gesundheit, brauche ich auch das Quäntchen Glück, um sicher ankommen zu können. 

 

Bei diesem Rennen ist ein Finish nicht selbstverständlich! Die Distanz ist lang, die Stunden ewig, die Belastung hoch. Alles kann einem passieren von Magen-Darm-Problemen, bis Verletzungen. Jedem kann es passieren, vom ersten bis zum letzten Athleten und jeder ist ein Sieger, der das Rennen beenden kann, egal auf welcher Position. 

 

Viele Erfahrungen habe ich gemacht, viel erlebt, schöne Eindrücke erfahren. Ich kann es, ich will es und ich schaffe es und werde erneut am Spartathlon teilnehmen. Meine Zeit wird kommen und ich weiß genau, dass ich kurz davor war es zu schaffen und die äußeren Umstände es leder verhindert haben. Da dies nicht die Regel ist, wird es das nächste Mal mit Sicherheit klappen. 

Ein kleiner Einblick wie das Wetter war.