Es lief die ersten 30km wirklich gut. Nicht einmal der Zweifel es nicht zu schaffen oder einzubrechen. Dass ich die Distanz laufen kann ist mir schon klar und dass Aufgeben keine Option ist auch. Bei Ultraläufen kann aber immer was passieren. Man sollte nicht so denken, es ist aber nun mal eine Tatsache, dass von jetzt auf gleich ein unerwartetes Problem auftreten kann, der Kreislauf versagt, was auch immer. Ich übte an der Technik von Thomas. Ich sagte mir in Gedanken "die Hüftgelenke gehen auf, zu, auf zu. Der Impuls nach vorn kommt aus den Hüftgelenken!" Das funktionierte sogar! Ich genoss es, andere schleichend zu überholen. Will heißen, im ruhigen Schritt. Während ich die anderen Schritte hörte, hörte ich meine eigenen kaum und die anderen eben auch nicht, weshalb sie dann schon schauten, wenn ich locker und ruhig vorbei zog. Ich fühlte mich wie Kipsang im Osten. Der Kipsang des Rennsteigs. Der einsame Krieger der lautlos, bedacht, ruhig und langsam seine Beute jagt.
Da, wieder einer auf den ich auflaufen kann. Stück für Stück sortierte ich mich so weiter nach vorn. Mein Stoffwechsel-Training machte sich bezahlt in zweierlei Hinsicht. Wer sagt, dass man ab 30km essen MUSS? Ich weiß, ich kann 45km ohne Nahrung laufen bei diesem Tempo. Ich weiß ich muss rechtzeitig essen. Ich weiß aber auch, ich brauche während der Belastung nicht viel und schon gar nicht, wenn ich die Tage davor genug und ausreichend geladen habe. Fett genug habe ich außerdem. Bei km 36 überkam mich ein leichtes Magengrummeln und ich fragte mich, was mir denn schmecken könnte. Es wurde stetig wärmer und mir zu warm um noch schneller laufen zu können. Ich entschied mich für einen Becher Haferschleim und zur Vorsorge für 2 Salztabletten. Ausreichend Wasser und nach der Bambini-Distanz Marathon zur Belohnung für eine Cola.
32km sind es ab Marathon - ein Trainingsläufchen noch. So sagte ich mir das. Natürlich gingen jetzt so allmählich die Problemchen los. Der Lauf kam an, es wurde warm und wärmer und die Frage nach dem Rennverlauf beim Spartathlon und warum man sich das antut kam auf. Bis zum Grenzadler und km 54 war ich voll in der Zeit und auf Kurs unter 7h, was eigentlich mein Ziel war. Es lagen nun noch 20km vor mir. Ich wusste, es werden 20km Hölle sein. Ich kann es Euch jetzt nicht genau sagen, jedenfalls fehlte nach dem Grenzadler ein Verpflegungspunkt. Der war immer da, diesmal jedoch nicht. So waren wir 7km ohne Wasser. Diese 7km ohne Wasser brachen mir jetzt das Genick! "Jetzt währe ich froh um den Salomon-Rucksack meines Konkurrenten, der eben locker an mir vorbei zieht..." Das Wasser in seiner Trinkblase schwappte herrlich klingend. Ich hätte aus einer Pfütze trinken können, hätte ich eine gefunden. Das Tempo fiel ab, ich musste sparsam laufen, wusste ich ja nicht, wann jetzt endlich das heiß ersehnte Wasser käme...
Ja sicher hätte ich eine Flasche mitnehmen können. Hätte ich mich vorab über die Verpflegungsstellen informiert und gelesen, dass diese 7km entfernt ist... Beim Spartathlon habe ich eine Flasche dabei und man lernt halt nie aus. Ist ja nicht so, dass ich dadurch jetzt in Lebensgefahr gekommen währe, es schlägt sich halt nur auf der Zeit nieder und kostet Zeit. Endlich am VP angekommen, Wasser rein und Cola rein. Natürlich zu viel und dem entsprechend durfte ich ein paar Schritte weiter erst mal kotzen. Super. Ich hatte noch einen Schluck im Becher und trank den bedacht, ließ ihn im Mund verweilen und schluckte bedächtig runter. Ich nahm eine Salztablette und sammelte mich. "Bloß weil man mal kotzt, bricht man das Rennen nicht ab!" Angehende Dehydration, daran zu erkennen, dass du trinkst wie eine Kuh, Durst hast, der Bauch voll ist, du langsamer läufst und Mühe hast es bei dir zu behalten. Trotzdem ging es weiter. Anstiege folgten...
"Unter 7h kannst du vergessen", sagte ich mir, nicht weil ich ein Aufgeber bin, sondern ein Realist. Die Uhr zeigte mir klar was Phase ist auf den letzten 10km und dass ich keine 4:40min/km mehr laufen konnte, war auch klar. Erneut das Verlangen nach Wasser. Ich hielt einen Radfahrer und einen Wanderer an und bat um Wasser. Ich nahm jeweils einen Schluck und bloß nicht zu viel und fühlte mich wieder besser. Ich erwartete eine Verpflegungsstelle, verschätzte mich um einen Kilometer und beging einen weiteren fatalen Fehler. Ich schluckte zwei Salztabletten ohne Wasser, weil es dieses ja gleich geben sollte. Die Speiseröhre brannte, der Magen wollte sich umkehren, ich hätte schreien können. Ruhig hielt ich aus und wartete geduldig auf die Verpflegungsstelle. Dort wieder getrunken was rein ging. Ein letztes Mal Haferschleim und jetzt ein Bier. Ja, ein Bier. Ich trinke keinen Alkohol im Normalfall aber ich benötigte diese Mineralien und den bitteren Geschmack eines schönen Köstritzer Schwarzbiers. Zudem ich diese süße Plirre nicht mehr sehen konnte. Dennoch trank ich noch ein Cola Bier hinterher.
Der Alkohol verflog, kam gar nicht durch. Ich trank eine halbe Flasche und.... "Harald Lange aus Bad Homburg! Wie kann denn ein fast blinder Mensch so gut unterwegs sein, das wollen wir jetzt von dir hören!" Ich freue mich ja über so etwas und stehe immer für Fragen zur Verfügung - aber muss es denn jetzt sein??? Schon war das Mikrofon unter meinem Kinn, als ich grad loslaufen wollte und mich der Moderator festhielt. Gut, die geben sich so eine Mühe hier und sind so lieb und huldigen einen wie einen Helden. Da kannst nicht einfach sagen - jetzt nicht. Ich stoppte und sagte "Tja, das war´s dann mit dem Sieg. Aber wenn mich jemand so lieb anspricht, dann ist mir jetzt ein nettes Gespräch mit Dir lieber als mein Sieg und Platz 10 könnte ja noch drin sein was?"
Ich stand knapp 3min Rede und Antwort, trank langsam mein Bier und die Cola, nahm nochmal Salz und lief dann langsam an. Keine 10km mehr! Ich will jetzt wenigstens unter 8h rein kommen um meine Würde zu behalten! 7h14min stehen hier als meine Bestzeit, allerdings a) nicht bei diesen Bedingungen und b) schon gar nicht, wenn das Rennen länger ist als im Jahr zuvor. Dennoch vermutete ich, dass ich eine 7h30min wohl laufen können müsste und das währe bei dem Wetter absolut ok. Ohne mich zu verteidigen ist es aber auch so, dass ich bei jeder Verpflegungsstelle fragen muss was es wo gibt. Ich sehe es nicht, was Zeit kostet. Oft musst du umdrehen und zurück gehen weil du an der Cola vorbeigelaufen bist usw. Weiter sind die An- und Abstiege mein Problem. Beim Anstieg bin ich vorn dabei, bei Abstiegen muss ich aufgrund der Behinderung langsam tun. Die zuvor erlaufenen Positionen verliere ich damit, was mental weh tut, weil ich ja könnte wenn ich sehen würde... Abgeglichen mit meiner Uhr, die bei jedem Stop auch stoppt, damit ich weiß, wie viel Zeit ich verschwendet habe für Toilette, Verpflegung und co, habe ich ganze 9min dafür verwendet, was in meinem Fall jetzt nicht viel war. Abzüglich des Interviews waren es dann nur 6min.
Auf der Strecke, gerade bei einer sehr schwierigen Passage, quatschte mich einer an "Wie viel siehst du noch?" Ich bin eigentlich nett. Dem musste ich aber sagen "Bitte tu mir den Gefallen und frag mich das im Ziel, jetzt nicht!" Er sah das ein. Ich meine, ich konzentriere mich nicht zu fallen und in dem Moment fragt der sowas.... Naja was soll´s.
Die letzten 5km. Einige Plätze habe ich verloren, mit anderen ging das stetig hin und her. Ihr Ultraläufer unter uns kennt das. Es werden nicht mehr Leute, es sind immer die selben und die Platzierung wechselt in einem fort. Das wird sich jetzt ändern! Was hinten ist, bleibt jetzt hinten! Jetzt wird die Sau raus gelassen. "Kämpf du Sau!" Ich drehte auf, das Tempo kam wieder, es ging mir gut. Ich hatte nach dem Anstieg bei km 69, an den ich mich noch aus dem Vorjahr erinnern konnte, nochmal getrunken, nahm zwei Stück Apfel und rannte dann das letzte Stück. Jetzt kann man wieder von Laufen reden! 4:45min/km und sammeln, einen nach dem anderen. Motiviert zog ich an den Wanderern vorbei, deren Strecke wir jetzt kreuzten. Die schauten verdutzt was ich da noch für ein Tempo an den Tag legte. Duelle entstanden und es machte riesigen Spaß. Bergab war ein Risiko für mich, es war aber eher eine Waldautobahn mit ein paar Schikanen, wo ich einfach das Risiko auf mich nahm. Wenskat-Technik verwenden, Schienbeine vor, Hüftgelenke mobilisieren, die Füße gehen weg, weg, weg.... Es klappte! Ich konnte noch mobilisieren!
Hinter mir ein Konkurrent, der aber noch besser als ich bergab laufen konnte. Wir brüllte beide, denn es tat uns beiden weh und jeder stöhnte vor sich hin. Noch 1km. Es war nicht zu halten, er zog vorbei. Ich ließ mich nicht beirren, es tat kurz weh, aber schon folgte ich ihm. Mann kann der mobilisieren! Durch eine Wandergruppe durch und an den Kerl ran. Jetzt bergan und Richtung Ziel, der Kollege war und blieb vorn. Wir zogen gemeinsam an zwei anderen Konkurrenten vorbei. Ich keuchte. Ich wollte da dran, "Ferse hinten an den Arsch, Knie nach vorn, Füße wollen weg, Sprunggelenke gehen auf, Hüftgelenkesimpuls nach vorn!" Die Oberschenkel brannten, das Sichtfeld verschwamm. Egal!
Die Zuschauer jubelten, die Zielmatte kam näher. Ich überlief die erste Matte und hörte hinter mir schnelle Schritte, wo ich schon bremsen wollte. Diese Schritte kamen näher... "Verdammt! Das ist noch nicht die Zielmatte, die ist 100m weiter!!!" Nein, der sollte mich nicht überholen jetzt. Ich drückte erneut auf die Tube und die Schritte blieben hinter mir. Ich mobilisierte mit den Armen, alles was ich noch hatte, merkte wie die Knie anfingen nachzugeben, überlief die Zielmatte und sackte kurz in mir zusammen.
Wir drei Konkurrenten umarmten uns danach, beglückwünschten uns zu unserer Leistung und dem fairen Rennen. "Du bist echt nicht ganz dicht, das weißt du schon!", sagte einer von ihnen zu mir. Ich fragte warum. "Weil man als fast Blinder nicht so die letzte Passage runter rennen sollte. Du hast mich ganz schön abgehängt da runter und ungefährlich war das nicht." Zugegeben, das war mir in dem Moment relativ egal. Währe ich natürlich gefallen, währe das Beinchen wohl gebrochen aber - bin ja nicht gefallen :)
Ich freute mich 3km vorher noch darauf Uli, Hans Reinhard und Juliana zu treffen und evtl. noch andere Blindschleichen :) Ich freute mich auch auf ein alkoholfreies Hefeweizen was ich mir zuvor in meiner Tasche deponiert hatte, weil ich ja keinen Alkohol mag und alkoholfreies Pils weniger mein Fall ist. Die Freude verflog dann als ich an die Hitze dachte und auch daran, dass mein Starterbeutel auf der schönen grünen Wiese in der prallen Sonne lag. Was dann aus meinem Bierchen wurde muss ich Euch nicht näher erläutern oder doch?? Es schäumt jedenfalls schön wenn man es in diesem Zustand trinkt.
Ich habe noch nie so viele Leute bei einem Rennen kotzen sehen wie hier. Unglaublich. 7h40min waren es letztendlich die ich für dieses Rennen brauchte. Ich kann zufrieden sein, jedes Rennen ist eben anders.
Um für den Spartathlon würdig zu trainieren, habe ich am Folgetag um 7:00 Uhr morgens ein weiteres 30km Läufchen gemacht. Ich bin nüchtern gelaufen über die Saalburg zum Herzberg. Die Saalburg erreichte ich in 54min, den Herzberg in 1h14min, der Schluss war schwer. Das Wasser wurde knapp, es wurde heiß, ich war müde vom Vortag. Die Nummer härter heißt eben, mit weniger Wasser und mit weniger Nahrung auszukommen und den Laufstil so anzupassen, dass es klappt. Beim Spartathlon werde ich das umsetzen und brauchen. Ich werde eine Notflasche haben, die ich nach Bedarf fülle. Wenn dann doch mal eine Durststrecke kommt, muss ich eben mit ihr umgehen, was bis zu einem gewissen Tempo und einer gewissen Zeit wohl machbar ist. Ein Wochenende mit Doppeldecker-Belastung über 100km geht somit zu Ende. Am Freitag geht´s schon in die Schweiz zum Niesenlauf und eine Woche drauf der 24h Lauf in Hoyerswerda.
3 Wochen, 3 Rennen, 1 Ziel - SPARTATHLON 2018!