Deutsche Marathon Meisterschaft des DBS in Berlin - in einem Rennen kann dir alles passieren....

Unter dieses Motto habe ich für mich die Deutsche Marathon-Meisterschaft des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) beim 44. Berlin Marathon am 24. September 2017 gestellt. Alle guten Dinge sind drei habe ich mir gesagt und zum dritten Mal sollte die 3h Marke fallen. Zwar bin ich Deutscher Meister geworden, die 3h habe ich leider knapp verfehlt....

 

Leicht verregnet präsentierte sich Berlin am frühen Morgen und ich begann wie üblich meine Startvorbereitungen nach Plan. 5:45 Uhr frühstücken, startfertig machen und auf zum Start, der nicht weit von meinem Hotel am Potsdammer Platz entfernt lag. Dort angekommen, sortierte ich mich in meinen Startblock A ein. 'Obwohl es immer heißt das die Menschheit immer fauler wird, muss ich feststellen, dass es doch auch viele gibt, die nicht faul sind. Der Startblock A war nämlich nicht gerade klein. Wir reden hier von Zielzeiten unter 2 Stunden und 40 Minuten auf den Marathon!!!

 

Die Deutsche Marathon-Meisterschaft des DBS wurde im Rahmen des Berlin Marathon ausgetragen und somit starteten wir mit der Elite aus dem 1. Startblock. Eigentlich waren die Bedingungen nicht die Schlechtesten und ich fühlte mich gut. Der Startschuss und gleich ging es hektisch zur Sache. Dort vorn wird ein Tempo angeschlagen, dass dir als fast blinder Läufer wirklich schlecht wird. Es ist ein hohes Maaß an Konzentration notwendig, dass ich da vorn keinen Unfall baue, überlaufen werde, oder selbst jemanden verletze. Die ersten 5km blieb ich an Steffen Klitschka dran und vor uns lief noch ein blinder Kollege mit seinem Guide. Ich verlor sie nach der 5km Marke am Getränkestand und blickte auf die Uhr. Die zeigte 21min an. Mir war klar, ich bin in der Zeit, aber schlafen kann ich nicht. Ich habe Steffen und die anderen beiden verloren und machte mir etwas Sorgen. Die Jungs sind Topläufer und haben mehr Erfahrung wie ich. Ich sagte mir "warte ab, ab km 30 holen sie sich und zeigen dir wie man läuft..."

 

Kilometer 10 kam langsam näher und es ging mir soweit gut, die Uhr zeigte 42min an. Es müsste noch alles wunderbar im Soll sein, warten wir ab, wie es beim Halbmarathon aussieht. Ich schätzte, dass Steffen und die anderen knapp hinter mir irgendwo laufen müssen. Ich lief weiter mein Tempo und merkte bei km 16 ein leichtes Unwohlsein in der Magengegend. "Wird Zeit für´s erste Gel, was essen, dann geht´s weiter!" Ich nahm bei km 15 nur das halbe Gel zu mir, weil ich merkte, dass es mir nicht gut ging damit. Das Gel ist mir wohl bekannt und ich habe bislang bei jedem Marathon diese Strategie angewandt - erfolgreich...

 

Diesmal nicht. "Bleibe Flexibel im Kopf und passe deine Strategie an", habe ich mir gesagt und dachte dann nicht weiter darüber nach. Der Halbmarathon rückte näher und Trommeln waren zu hören die den Kriegstanz der Indianer anstimmten. Ich freute mich und merkte, der Rhythmus passt so gut zu "Deu-tscher-Meis-ter, Deu-tscher-Mei-ster..." Ich lief weiter und freute mich. "Ich bin stark, ich bin stark - kämpf du Sau, kämpf du Sau!" So motivierte ich mich und passierte den Halbmarathon bei 1h28min! Voll in der Zeit! Dass es mir nicht so gut ging akzeptierte ich voll und ganz bei dem Tempo. Noch 21km durchhalten! Noch 21km haben nach einem Event wie dem Deutschlandlauf eine ganz andere Bedeutung. 21km sind faktisch NICHTS! Bei dem Tempo was ich hier laufe mit knapp über 4min/km was knapp 15 km/h bedeutet, ist das sehr wohl nicht nichts! Es tat langsam weh und ich sehnte mich nach km 30.

 

Bei km 25 nahm ich Koffein zu mir, nach wie vor hatte ich keinen Appetit, trank aber brav mein Wasser. Bei km 27 nahm das Drama langsam seinen Lauf. Es wurde mir übel, ich bekam Ohrensausen rechts, ein schriller Piepton riss mich aus meinen Gedanken, leicht schwindelig wurde mir. "Das geht vorbei! Es ist die Anspannung, ignorieren, noch läufst du, das Tempo stimmt auch!" Jetzt kam die letzte Hochphase für mich in diesem Rennen, es ging auf km 30 zu und meine Zeit stand bei 2h05min. "Heute schreibst du Geschichte Deutscher Meister Harry Lange! Die coolste sehgeschädigte Sau Deutschlands! Du machst jetzt einmal was richtig im Leben und ziehst die letzten 12 beschissenen Kilometer durch und wirst triumpfierend kommendes Jahr in London starten du Tier duuuu!!!"

 

Bei km 33 beruhigte ich mich damit, dass es keine 10km mehr waren, das Rennen wurde schwer. Ich hatte hart damit zu kämpfen das Level oben zu halten, von Steffen und den anderen keine Spur. Es blieb weiter hektisch an den Getränkestationen, es wurde geschupst und geschimpft "lauf weiter du Penner, aus dem Weg!" Ich orientierte mich an der blauen Ideallinie und wann immer eine Kurve kam, war es schwer nicht von hinten einfach geschnitten zu werden, auf den Vordermann nicht aufzulaufen der plötzlich das Tempo verringerte oder zu stolpern. Ich hatte langsam keine Lust mehr, die Übelkeit blieb da und das Gel bei km 35 habe ich glatt komplett verweigert. "Wenn du es nicht essen willst, werf es weg. Was du nicht zu dir nimmst, musst du auch nicht schleppen!" Also, weg damit und nochmal Koffein rein. Eigentlich gab es bei km 36 Red Bull Schorle. Diese habe ich leider nicht gesehen! Ich lief daran vorbei, bekam kein Red Bull, sah nur das Banner mit der Aufschrift Red Bull und lief gefrustet drunter durch, weil das Red Bull hätte ich echt brauchen können. Vielleicht hätte es ja geholfen. Die Cola erwischte ich ebenfalls nicht und auf Wasser pur hatte ich keine Lust mehr. Das Koffein half mir leider auch nicht, es trug lediglich zur weiteren Übelkeit bei. Die halbe Nacht lag ich gestern wach und fragte mich, ob ich hätte was anders machen können, ob mir die Cola geholfen hätte und warum nicht mehr drin war...

 

Die Wahrheit ist, ICH WAR FERTIG!!! Da war nicht mehr drin und mein Körper hat verdammt noch mal ab km 38 jegliche Aufnahme von Getränken und Speisen verweigert. Ich konnte froh sein gefinisht zu haben ohne vorher zu kotzen oder aufzugeben! Endlich ging es auf km 40 zu, meine Kräfte schwanden und ich fühlte das. Ich musste zusehen und mich dieser Schmach hingeben, mich nicht mehr weiter aufraffen zu können mehr Tempo zu machen, so sehr ich es wollte und versuchte. "Ich will es, ich kann es, ich schaffe es!" Auch das half nichts. Bei km 40 zeigte die Uhr bereits 2h51min an und ich wusste ganz genau, wenn jetzt nicht irgendwie ein Wunder geschieht und ich nochmal schneller werde oder wenigstens 4:15min/km laufe, ist es aus mit unter 3h!

 

Ich wurde leider nicht mehr schneller... Ich quälte mich zwei ehlends lange Kilometer weiter unter Bauchweh und Unwohlsein. Ich schaltete ab, ertrug das Schicksal und die Schmach die folgen würde. Ich sah das Brandenburger Tor und sagte mir "Jetzt probierst´s halt nochmal und geb doch endlich Gas du Schlappschwanz!!!" Der Schlappschwanz gab kein Gas mehr, es gab keinen Zielsprint, nein, Harry lief einfach nur auf diese lang ersehnte rote Zielmatte mit letzter Kraft und musste erschrocken die 3h01min57sek schlucken.

 

Abgekämpft und leicht erschüttert, begrüßte mich Marion Peters und beglückwünschte mich, ich sei der Erste, ich sei Deutscher Meister und die anderen sind noch auf der Strecke. Das freute mich zwar, denn Deutscher Meister wird man nicht jeden Tag! Allerdings hätte eine 2h auf der Urkunde einfach besser ausgesehen. Alles Jammern hilft nichts, ich hatte zudem ein ganz anderes Problem. Ich musste kotzen. Ich bekam eine Kotztüte, übergab mich und wurde vom Sanni gefragt, ob alles ok sei. "Wer nicht kotzt läuft nicht am Limit! Ich bin soweit ok, nur fertig." "Sollen wir Sie mitnehmen?" "Nein, ich bin absolut ok, nur am Ende meiner Kräfte, zwei alkoholfreie Hefeweizen und dann geht´s wieder, alles ok!" Sie ließen mich laufen, bzw. zu einem der zahlreichen Ausgänge wanken.

 

Es war knapp und hart, eines meiner bislang härtesten Rennen. Ich akzeptiere diese doch starke Leistung nach dem Deutschlandlauf und bei den Bedingungen. Ich werde am 7. Oktober 2017, also bereits zwei Wochen nach Berlin versuchen, die 100km unter 10h zu laufen und mich damit beim Taubertal 100 für den Spartathlon 2018 zu qualifizieren. Ich gehe fest davon aus das zu schaffen, blicke nach vorn und freue mich über den Titel Deutscher Meister bei der Deutschen Marathon-Meisterschaft des DBS.

Am Abend zuvor und immer treu an meiner Seite beim Carboloading am Pasta-Buffet im Scandic Hotel.

 

Meine liebe Freundin Christiane!!!

Das Tempo war hoch!!! Christiane konnte mich kaum mit der Kamera erwischen...