Nachdem ich nun trotz Trennung und einigem Hickhack zwischen den Jahren es dennoch geschafft habe, die 40min auf 1okm endlich zu knacken, geht die Reise nun langsam Richtung Deutschlandlauf weiter. Der Marathon unter 3h liegt hinter mir und ich muss mich langsam wieder mal mehr auf die Langstrecke und das lange Laufen auf mehrere Etappen konzentrieren und weniger auf das harte Tempo. Andererseits sage ich mir, was ich habe das habe ich. Und wenn ich schon ein gewisses Grundtempo laufen kann, warum nicht weiter daran arbeiten? Klar ist es so, je länger die Distanz desto ruhiger das Lauftempo, aber deshalb muss ich doch nicht viel langsamer laufen als ich das kann. Ich rechnete mir also realistisch mein Maximales an Leistung für dieses Rennen in Rodgau aus: Wenn ich 4:15min/km laufen könnte, also mein Marathontrenntempo (das 10km Renntempo geht definitiv nicht), dann könnte ich eine maximale Zielzeit von 3h40min auf 50km erreichen. Schneller ist realistisch gedacht nicht drin. Jetzt gehe ich mal davon aus, dass mir der Silvesterlauf und das ganze Theater mit Trennung, Umzug, Zwangspause wegen dem Verkehrsschild in das ich gelaufen bin usw. noch in den Knochen liegt, wird dieses Maximum nicht laufbar sein. Ich weiß aber auch, dass wer vorn dabei sein will, alles riskieren muss. Auf Sicherheit zu laufen und dass ich 50km laufen kann, das weiß ich ja. Was maximal möglich ist, erfährt man nur, wenn man es ausreizt. Das kann gut oder auch schiefgehen......
28.01.2017, 6:00 Uhr morgens und Zeit aufzustehen und sich fertig zu machen. Um 7:15 Uhr wurden meine Freundin Christiane und ich von meinem Freund und Bruder Tilo Kramer abgeholt, sein Laufkollege Ingo kam auch mit. Für Christiane war es ein Debut. Sie wollte erst gar nicht so recht, wirkte aber interessiert und so sagte ich zu ihr: „Mädel, du hast rein gar nichts zu verlieren in Rodgau. Auch ich startete einst dort und war mir dieser Distanz nicht sicher. Da es ja ein Rundenlauf ist kannst du theoretisch jederzeit aussteigen. Da du aber eine Marathonläuferin bist und hart im Nehmen, zäh und einen starken Willen hast, wirst du es sicher packen!“ Sie ließ sich also überreden und nahm die Herausforderung an. Beide wälzten wir uns im Bett hin und her und fragten uns warum wir eigentlich jetzt diesen Scheiß da machen sollen. Zudem ist es im Bett schöner, wärmer und vorallem gemütlicher.
Also los. Da waren wir nun alle 4 in Rodgau und trafen viele nette Kollegen wie den Alan Lee und den Veranstalter und Freund des Deutschlandlaufs Oliver Wtzke, Claudi und Kuno Konowski und viele mehr. Wer beim RLT Rodgau mitläuft hat die unterschiedlichsten Beweggründe dazu. Der eine wie ich will 50km auf Bestzeit laufen, der andere nur testen ob er/sie es überhaupt kann, wiederum andere wollen einen langen Trainingslauf mit Versorgung machen und dann gibt es die welche sich einfach nur lieb unterhalten wollen. Spinner finden Spinner da, wo Spinner sind. Also geht an als Ultraläufer natürlich zu eben diesem Event. Dort treffen sich Läufer die den Trans Europa oder Marathon des Sables und vieles mehr gemacht haben, Legenden wie Georg Kunsfeld oder Joe Kelbel trifft man dort – herrlich. Die Verpflegung und das Ambiente ist schön und obwohl es immer 5km Runden sind, passiert ja ständig was. Nach 800m die einzige und erste Verpflegungsstelle, dann um die 2,5km kommt Musik und Animation von den dort stehenden Helferinnen und Helfern und dann denkst du schon Richtung Zielgerade wenn es im Wald nach leichtem Anstieg wieder leicht bergab geht. Das Ziel mit Stimmung und Runde 2. Gut, ganz so einfach und schnell ist es nicht aber so kann man sich langhangeln. Besser als sich von vornherein klar zu machen „du sollst jetzt 50km laufen“
Der Start. Ich km super weg und war vorn. Von Anfang an versuchte ich auf ein Tempo um die 4:20min/km herum zu laufen. Ich wollte es wissen und riskieren und mir war klar: Einbrechen kann ich wohl aber finishen werde ich das Ding. Ich legte es zwar nicht darauf an aber wer 4:20min/km bei -6 Grad in kurzer Hose ohne Unterhose und T-Shirt läuft, dem muss klar sein, es wird ein heißer Ritt – oder eher gesagt ein kalter und harter Ritt bzw. Lauf
Das wurde mir bereits ab Runde 3 bewusst und ein Kollege meinte nur: „Wenn du jetzt schon sagst da es schwer ist, solltest du vielleicht deine Strategie überdenken“ Und dass ich den Lauf nur für mich machen würde und locker bleiben müsse und all den Scheiß und soll ja auch Spaß machen – jaja... Alles gut. Ich behielt mein Tempo bei und machte mir klar, dass ich versuche eine gute Zeit zu erreichen und möglichst unter 3h58min, denn das ist meine bisherige Bestzeit dort in Rodgau. Ich könnte heute gut auf 50km verzichten aber gut, was will man auch sonst machen gell...
Runde 4 und langsam an die Halbzeit denkend ging es also weiter und Andi, ein Laufkumpel, mit dem ich die 3h Grenze in Frankfurt mit Flo Neuschwander geknackt hatte lief nun neben und mit mir. Wir unterhielten uns kurz bis ich merkte, dass ich meine ganze Kraft nicht ins Reden sondern ins Laufen packen musste und es jetzt zunehmend schwer wurde. „Warum mache ich diesen verdammten Scheiß eigentlich immer wieder, warum lern ich denn nicht dazu??“ Tja, weil ich blöd bin. Oder weil ich´s kann! Was motiviert mehr? Runde 6 rückte näher und ich war immer noch dabei. Ich habe mittlerweile meine liebe Christiane getroffen die mir zurief „Harry! Bereits Runde 6!“ Wow. Beeindruckend wie Christiane, obwohl sie selbst das erste Mal lief und mit sich selbst genug zu tun hätte, an mich denkt und nach mir guckt. „Ich liebe dich!“ presste ich hervor, denn viel Energie hatte ich nicht und stehenbleiben konnte und wollte ich auch nicht. Ich wollte es einfach sauber und bald beenden. Runde 7 neigte sich dem Ende zu und es ging in Runde 8. „Wenn du die beendest, wirst du bereits in der vorletzten Runde sein...“ Tja das motivierte mich aber es tat einfach weh. Meine Hüfte merkte ich, die Leiste, das Tempo nervte und ich verpflegte mich vorsichtig und gezielt weiter. Seit 2 Runden musste ich pinkeln und ich wollte einfach mir die Zeit nicht nehmen, schob es vor mir her. 200m nach dem Dixi gehört sich nicht, ins Dixi wollte ich nicht, weil belegt, an der Verpflegungsstelle macht man es nicht und eigentlich geht es ja auch ganz gut... So schleppte ich mich gesamt 3 Runden weiter bis mir klar wurde „wenn du jetzt nicht gehst musst du laufen lassen und schlimmer noch, du wirst langsamer“. Das mit dem laufen lassen ist so eine Sache. Wenn es warm ist ok. Aber wenn dir eh schon dein Ding eingefroren ist und dann noch in die Hose laufen lassen.... Gefährlich... Also kurz im Wald angehalten und getan was zu tun war und – es lief sich leichter.
Runde 9 brach an und ich versuchte seit einigen Kilometern immer mir nur einen gravierenden Satz zu sagen „klar im Kopf – fokussiert... Klar im Kopf – fokussiert...“ Immer und immer wieder. Ich sprach mir die Silben laut vor solange bis ich sie verinnerlichte und bald nichts mehr Anderes wahr nahm nur – klar im Kopf und fokussiert. Ich brauchte nicht mehr Worte denn ich wusste für mich was ich damit ausdrücken wollte. Ich machte mir damit klar, dass ich fit in der Birne bin und genau weiß was ich tue. Ich bin hellwach und konzentriert. Fokussiert bin ich auf das Ziel, 50km in der bestmöglichen Zeit zu laufen, stabil, gleichmäßig, den Schmerz ertragend mit der Freude das Ziel zu erreichen und der unglaublichen Freude darüber, wenn die Zeit stimmte. Ich machte mir bewusst wie ich mich ärgern würde, wenn ich einfach langsamer laufen würde, mich dem Schmerz ergeben würde oder gar stehenbleiben würde. Ich würde mich ärgern, wenn es diese Sekunden sind, die ich hätte schneller sein können.
Da die Strecke nicht markiert war bin ich einmal falsch abgebogen. Auch das kostete mich 200m und vorallem Zeit! Ich schaffte es irgendwie die 9. Runde zu beenden und die 10. und damit letzte Runde brach an. „Jetzt kämpf du Sau und gib nochmal alles!“ Ja, es ging nur leider nicht mehr viel. Die Hüfte tat weh, so weh das mir die ein oder andere Träne kam. Das Tempo fürchtete ich nicht mehr halten zu können. Ich bin über die Ziellinie gelaufen mit Blick auf die Uhr, die beim Ende der 9. Runde 3h21min angezeigt hat. Ich rechnete: „Angenommen du brichst auf 5min/km ein, brauchst du für 5km also 25min. Mh. Ich bin aber glaube ich etwas langsamer als 5min/km geworden, ich gehe von einer Zeit von 3h50min im besten Fall aus, eher 3h55min. Dass 3h21min + 25min nicht 3h50min ergibt, war mir nicht mehr klar und bewusst. „Jetzt laufe halt das Ding irgendwie bestmöglich heim, spazieren musst du ja wohl nicht“ Mir war allerdings danach. Ich kam an die Verpflegungsstelle, nahm was zu mir und ging wirklich ein paar Meter mit dem Gedanken jetzt nicht mehr anlaufen zu können und zu wollen. „Das dauert zu lange verdammt!“ Also versuchte ich mit letzter Kraft anzutraben und mir zu sagen „gleich kommt die Musik, der Wendepunkt, sauge diese Energie auf. Dann übers Feld, dann in den Wald, leichter und letztmaliger Anstieg und dann – Zielgerade mit Rechtskurve zuvor und laufen lassen, das wird klappen und gut. Und so konnte ich die letzten Körner mobilisieren und sagte mir „Das mit dem Rensteig, das brauch ich nicht und einen Ultra brauche ich auch nie mehr!“ Ich kam ins Ziel und traute meinen Augen nicht. 3h47min und endlich Finish, Platz 29 gesamt und vor mir alles Freaks die viel erfahrener als ich sind. Ich war überglücklich und froh, wollte heute alles tun, nur nicht mehr laufen... Aber... Da war noch was zu tun...
Christiane! Wie geht es meiner süßen Christiane?? Ich zog mich um, lange Laufklamotten an und besessen davon sie zu erwischen und zum Ziel zu begleiten. Ich fragte den Veranstalter ob ich das machen dürfte und nahm meine Startnummer ab um nicht disqualifiziert zu werden. So wartete ich im Zielbereich und da kam sie – mein Engel! „Wie viele Runden musst du noch laufen Christiane?“ „3 Runden noch!“, entgegnete sie. Also, Zähne zusammenbeissen und ihr helfen. Mehr humpelnd als laufend, lief ich neben ihr her und schwor ihr sie bis ins Ziel zu begleiten. Und wenn ich sie dort durch tragen muss! Der ein oder andere Läufer nannte mich „Schleifer“ weil ich sie antrieb. Du läufst – ich muss aufs Klo, später, du läufst. Bleib an mir dran. Denke an nichts als das Ende dieses Events. Und sie tat wie ihr geheißen. Wir mussten einen Klostopp einlegen und ich musste mir überlegen wie ich es schaffen würde sie zu motivieren ohne sie zu nerven. Denn ich weiß wie Scheiße es am Limit ist. Mir tat zudem alles weh, ich musste mit ihr um einiges langsamer laufen und würde mit 65km aussteigen. Zwischenzeitlich spann ich rum und meinte „ich werde mal hier 50km laufen und wenn ich fertig bin, mache ich einen 100ter draus – ist doch ein rießen Spaß. Das dann im geforderten Zeitlimit! War schon schön, wie einige mir zugerufen haben „Sag mal kannst du nicht zählen? Du bist doch lange schon fertig... Oder, jetzt komm, da muss doch noch was gehen, letzte Runde... Es ging die Sonne langsam unter und ich blieb bei meiner Christiane und spornte die Leute an „helft ihr Leute, sie läuft das erste Mal 50km und sie wird fnishen, sie braucht euch, gebt mir eure Stimme!“ Ich regeneierte langsam und merkte, ich kann es noch wenn es sein muss. Ich kann weiter laufen, wenn ich auch nicht mehr will.
Christiane gab jetzt Gas, die letzten 2km fingen für sie an und sie mobilisierte nochmal alles. Ich zog sie und ließ mich dann hinter sie fallen, dass sie die erste sei, die die Zillinie überläuft. Schließlich ist es ihr und nicht mein Finish! Sie soll als erste die Ziellinie erreichen. Sie tat es und freute sich. Ich nahm sie in den Arm und gratulierte ihr als erster was mich sehr freute. „Der Sprint am Ende geht immer irgendwie gell!“ Sagte sie zu mir. Und ich küsste sie und sagte „ja, mein Schatz irgendwie ist das wohl so “
Glücklich und zufrieden stolzierten wir zur Halle und kamen pünktlich zur Siegerehrung dort an. Christiane wurde nicht Letzte! Sie brauchte 6h und 19min und das ist für das erste Mal und dafür, dass sie nicht so eine gezielte Vorbereitung hatte, bis auf den ein oder anderen langen Lauf, wirklich eine super Leistung. Ich freute mich über ihr Finish ebenso wie über mein eigenes. Wir trafen Tilo und Ingo, für die es auch toll lief und dann aßen wir Kuchen und fuhren heim. Dort gab es eine Familienpizza und Eis und dann fielen wir beide tot müde um 20:15 Uhr ins Bett und schliefen den Schlaf der Gerechten. Am Sonntag ging es in die Sauna und Christiane denkt nun über den Start am Rennsteiglauf mit mir nach. „Das mache ich ganz bestimmt nicht!“, meinte sie nach dem Rennen aber ich meinte nur „ich frage dich morgen früh wenn du aufwachst. Sie wachte auf, fühlte sich wohl und sagte „ich bin eine Ultra! Also wie war jetzt das mit dem Rennsteig?“ Tja, man kennt halt seine Pappenheimer gell. Ich weiß sie hat das Zeug dazu.
Ich bin ebenfalls überglücklich über meine 3h47min Zeit, Platz 29 gesamt und das in Rodgau, zum Start der Saison und mit 65km ausgestiegen. Ich weiß, ich bin bereit für Deutschland und Oliver Witzkes großes Event. Vorher werde ich noch Hamburg und den Rennsteig laufen und dann soll es los gehen mit dem Deutschlandlauf.