...tja wenn! Dieses Rennen trägt seinen Namen nicht zum Spaß und ja, es ist eine Tortur! Bei 230km bewegt man sich und ich habe das schon oft gesagt, immer auf Messers Schneide. Man kann schneller draußen sein als man es meint und das Blatt kann sich ruckzuck wenden. Ich kann noch gar nicht fassen was passiert ist aber jetzt zwei Tage danach beginne ich es zu realisieren.
Ich war noch nie so extrem angespannt wie am Start vor diesem Rennen. Irgendwie ging das auch anderen Läufern so und keiner wusste recht wieso. Klar sind 230km immer eine Wucht und immer werden die Karten neu gemischt aber irgendwas war anders. Ich nahm dazu an einer ärztlichen Studie teil um rauszufinden wie sich der Körper und Geist während eines solchen Rennen verhalten. Es geht darum was vorher und was nachher im Körper los ist. Dazu musste am Vortag, da es direkt vorm Rennen zu stressig gewesen wäre, Blut abgenommen werden und es wurden sensorische und motorische Tests durchgeführt. Nun, hoffentlich soll ich diese Testes nicht im Ziel wiederholen...
Das Rennen stellte mich von Beginn an auf die Probe. Das fing schon mit der Anreise an. Man kommt in Winterberg - Bad Berleburg an und kommt nicht weiter zur Pension, die am Arsch der Welt ist. 3km Fußweg durch die Botanik über Stock und Stein mit Höhenmetern, Gepäck und Fahrrad. Man kann sich vor so einem harten Start nichts Geileres vorstellen als eine Pension irgendwo im Nirgendwo in Winterberg Astenberg oder sowas zu suchen. Dort angekommen, war ich etwas entspannter. Weiter ging es zum Abholen der Startunterlagen und geplant war, mal eben ein wenig Blut abnehmen, einen Blutzuckersensor bekommen und ab zum Abendessen und Wettkampfvorbereitungen. Leider kam alles anders.
Beim Blut abnehmen kollabierte ich fast. So etwas ist mir noch nie passiert und warum das passiert ist weiß keiner so recht. Fakt ist, ich bin jetzt natürlich in der Szene die letzte Pussy die rum läuft und es haben natürlich genau die richtigen Konkurrenten gesehen. So schnell das da war, war es auch wieder weg. Weil die Tests mehr Zeit als geplant in Anspruch nahmen, gab es auch in diesem Kaff nix mehr anständiges zu essen und wir mussten mit einem Döner und einem Bier Vorlieb nehmen. Nicht gerade Wettkampfnahrung aber was willst machen.
Nachdem das alles erledigt war und ich gegen 22:00 Uhr endlich ins Bett kam und meinen Kram für den Renntag optimiert hatte, konnte der große Tag kommen. Da die TTdR ein Selbstversorgungslauf ist, wo man mit Crew an den Start muss, die mindestens aus einem Radfahrer oder einem Autofahrer bestehen muss, war ich mit meinen beiden treuen Radbegleitern Robert Cimander, meiner lieben Christiane nebst Auto das von Robert's Freundin Simone gefahren wurde, gut aufgestellt. Sofia ist die Frau von unserem gemeinsamen Laufkumpel Wolfgang Karl, der den Bambinilauf (100km) mit machte und da die 100km Läufer erst später einstiegen und nicht so viel Betreuung brauchen, konnte auch ich vom Auto ca. alle 13km Gebrauch machen. Der Rest musste per Fahrrad transportiert werden. Es reicht zwar eine Radbegleitung aber wenn die ausfällt, ist das Rennen vorbei. So sind nun mal die Regeln und das ist auch keine Schikane. Der Veranstalter kann sich nicht um jeden einzelnen auf der Strecke kümmern. Kollabiert man oder passiert etwas, muss man selbst in die Zivilisation zurück finden und dafür hat man seine Crew. Bei 230km kann der Veranstalter nicht bei jedem der ein Problem hat parat stehen.
Beim Spartathlon ist das ein wenig anders. Das Rennen ist a) teurer, b) haben die mehr Verpflegungspunkte dort und c) ist es den Griechen recht scheißegal was du machst, ob du kollabierst, drauf gehst, etc. Das ist DEIN RISIKO! Das unterschreibst du denen brav und dann ist das für die in Ordnung. So kamen wir gut vom Start los und es lief erst einmal alles nach Plan. Gut ernährt und angenehme Lauftemperaturen, genau mein Wetter. Die Strecke schien es also vorerst gut mit mir zu meinen und ich wünschte mir das Wetter einmal in Sparta haben zu dürfen.
Du fühlst dich gut bei einem Ultra? Glaub mir - das vergeht...
Das ist auch leider so. Es gibt Höhen und Tiefen in jedem Rennen aber das hier ist ein verdammt langes Rennen und man tut gut daran, nicht ständig daran zu denken wie weit es noch bis km 230 ist. Rückwärts zählen ist eine nette Idee aber auch das dauert und zu diesem Zeitpunkt hier nicht nur ein paar Stunden, nein, noch über einen ganzen Tag, mehr als 24h! Wenn du mal 80km gelaufen bist in 8h45min wie ich es hier tat und nun weißt, dass das Rennen jetzt angefangen hat wird dir zum ersten Mal bewusst, was los ist. Dennoch freute ich mich auf die Nacht, war guter Dinge und Hoffnung und freute mich meines Lebens. Meine Ferse rechts begann allerdings weh zu tun und ich ignorierte den Schmerz. Klar ist der Schmerz ein Gefühl das man im Ultra oft ignorieren muss und mit dem man leben muss. ABER es ist eben nicht wie bei einem Marathon in 3-4h vorbei. Übersieht man eine ernst zu nehmende Sache, kann dies eine schwere Verletzung herbeiführen und das Rennen ist schneller zu Ende, als einem lieb ist. Als Profi sollte ich das wissen aber als Profi baut man warum auch immer, gern die größte Scheiße. Christiane wies mich darauf hin, dass ich an beiden Fersen wund wurde und dort keine Socken mehr vorhanden waren. Diese haben sich buchstäblich aufgelöst, ich habe sie weggelaufen. Wir hatten grad mal an die 90km und wäre ich so weiter gelaufen, hätte das bei 200km oder vorher das Aus bedeuten können! Ich hatte nur ein Paar Kompressionsstrümpfe und so entschied ich mich zu dem tollen Tipp meines Lauffreundes Holger Hedelt der mir riet, die Socken unten abzuschneiden, normale anzuziehen und die Wadenkompression damit zu behalten. Es könnte ein Problem sein wenn man 90km mit Kompression gelaufen ist und diese dann plötzlich weg ist.
Dieser Tipp war Gold wert und es lief wieder super. Endlich die ersten 100km und natürlich auch die Schmerzen. Ich kann nicht so lange hier schreiben wie schlimm sich das anfühlt und welche Ewigkeiten und Zweifel man ertragen muss. Es ist nur teilweise zu beschreiben. Du brauchst Geduld und musst dich immer wieder antreiben. Bei 100km wieder probieren anzulaufen und wenn man dauerhaft nicht laufen kann, muss man eben Spielchen machen wie 2min laufen, 2min gehen, 2min laufen usw. Und so rettet man sich halt weiter und weiter. Nach ca. 130km kommt einem dann der Gedanke "ach jetzt haben wir ja nur noch einen 100ter..." Das erklär mal deinem Arzt...
Das wird ab dieser Distanz nicht leichter. Im Nachgang habe ich immer wieder diese Bilder im Kopf wie ich in der Mitte, Robert vor mir als Navigator und Christiane hinten zu meiner Absicherung zusammen unterwegs waren und das motiviert und ist einfach super! Als ich bei ca. 130km in den Spiegel schaute an einem VP wo es eine Toilette gab, bin ich zum ersten Mal vor meinem eigenen Spiegelbild erschrocken. Sowas ist mir noch nie passiert. Ich erschrak vor dem was mich da anglotzte! Die lange und angenehme Nacht endete langsam und es setzte starker Regen ein. Eigentlich bei angenehmen 13 Grad aber wenn du völlig entkräftet bist, frierst du und kühlst aus. Also umziehen und weiter geht es. Pfützen hüpfen, die Füße sind ja noch nicht geschädigt genug aber ok, nicht zu ändern. Irgendwann sind 24h um, du bewegst dich jenseits der 180km und dir wird klar, dass es immer noch 50km sind. Irgendwann sind aber auch die Spielchen vorbei und du musst in einem unmenschlich gemeinen und nie enden wollendem Schritt gehen. 5km in der Stunde, die man normal in 25min gemütlich und in 19:37min wie in meinem Fall auf Tempo rennen kann. Jetzt kann man sich ausrechnen auf 50km in diesem Tempo, wie viele Stunden man noch unterwegs ist. Man hört in sich hinein, hofft dass man die Schmerzen auf Dauer erträgt und auch das Bänder, Muskeln, Knorpel und Sehnen, das alles hält und der Kreislauf stabil bleibt. Du kämpfst mit den Tränen aber willst nicht zu viel Salz verlieren und du machst dir klar "Du wirst es ertragen, weil du es ertragen musst!" Willst du finishen ist das die einzigste Option die du in dem Moment hast. Du erträgst und marschierst, versuchst zu laufen, tippelst und versuchst dich so gut es geht vorwärts zu bewegen. Die Konzentration lässt nach, die Schmerzen sind grausam, der Lustpegel auf 0 und bei 200km ist das mit dem Anlaufen halt auch nicht mehr wie nach den ersten 100km. Es geht schlichtweg einfach nicht mehr und aus.
Willst du finishen musst du jetzt mit all dem umgehen und das sagt sich so leicht. Auf der Arbeit höre ich oft "naja, geht man es halt..." Das von so Pennern, die ein Problem haben in den 2. Stock zu laufen oder 3km zum Bus zu gehen und jammern wenn sie im Regen zur Mittagspause über die Straße zum Dönerladen müssen und lieber Lieferando anrufen. Die sagen einem das dann. Sie haben keine Ahnung alle samt nicht! Irgendwann waren es nur noch 11km! Nur noch 11km und ich war völlig am Ende, die Schmerzen gingen nicht mehr weg und ich konnte mich mit nichts mehr motivieren als mit dem Ziel. Red Bull, Koffein, Kaffee, Kartoffeln, nichts half mehr. Und dennoch erträgst du es, weil du es ertragen musst! Du hast eine Crew! Diese Crew kämpft an deiner Seite schon seit über 30h und will auch ins Ziel kommen! Christiane sitzt seit über 30h auf diesem verdammten Fahrrad und zwar nicht auf so einem E-Mofa das sie umgangssprachlich E-"Fahrrad?" nennen, sondern auf einem echten Fahrrad! Sie tut das für mich und weil sie das aushalten will. Sie will mit mir ins Ziel und will die volle Distanz supporten und wie enttäuschend wäre es für sie, wenn es jetzt 11km vor Ende zu Ende ist? Naja, reißt eine Sehne oder der Kreislauf geht in die Knie, kann ich natürlich wollen wie ich will, dann ist es vorbei. Evtl. stabilisiert sich der Kreislauf wieder und man hat noch den Mumm und den Willen weiterzumachen. Also gesundheitlich muss es schon passen und wer meine Berichte vom Spartathlon kennt, weiß wie ich dazu stehe und was Sache ist. Du kannst nie mal eben einfach 200km + laufen und garantiert sagen, dass du finisht, nur weil du schon mal hier gefinisht hast. Dieses Rennen hier ist genau der Beweis dafür.
"Warum kann ich nicht mehr laufen verdammt!" fragte ich mehr mich selbst und Robert der neben mir am Rad saß und auch hart zu kämpfen hatte aber als mein ultimativer Arschtreter sagte "Tja warum? Weil du das was ein Durchschnittsdeutscher in einem Jahr läuft an eineinhalb Tagen gelaufen bist und schon über 200km in den Beinen hast!" Mh, so gesehen motiviert das. Es motiviert auch, wenn Leute mit ihren E-"Bikes", eine vier Tagestour von Winterberg nach Duisburg mit Hotelaufenthalten planen und dann denken weiß Gott was sie, nicht mal mit einem anständigen normalen Fahrrad, da geschafft haben. Jetzt der Kontrast dazu, dass ich diese Strecke ohne Pause und ohne Schlaf in 33h, also 1 Tag und 9 Stunden zurückgelegt habe, würde ich meinen, das ist ein Unterschied. Ab 200km knallte die Sonne wieder, was mir nicht wirklich helfen sollte. Eine Brücke nach der anderen und somit Höhenmeter erschwerten die Tour ebenso wie das stetige laufen durch Ortschaften und verkehrsbelebten Zonen. Du musst dich an die STVO halten und an den Ampeln halten und wieder anlaufen usw. Fußgänger fragen sich was das für eine Behindertenveranstaltung ist und rufen einem zu "wenn joggen nichts für einen ist, sollte man es lassen." Erfahren sie dann, dass man 200km gelaufen ist, sind sie meist ruhig oder begreifen es nicht, sagen nichts mehr oder viel Spaß, oder zeigen dir einen Vogel.
Für diese 11km brauchte ich über 2h und dann wurde mir noch mitgeteilt, dass wir nicht das Rheinorange berühren dürfen im Ziel, da der Deich gesperrt ist. Der Regen setzte ein und umziehen war für mich keine Option. Eher sagte ich mir "bewege dich gefälligst warm und seh zu das dieses Leid ein End hat!" Ich sah wie meine Crew litt und ich konnte nichts dagegen tun - obwohl eines schon, weitermachen! Egal wie lang es dauert, es ist vorbei wenn es vorbei ist und es wird sicher bald vorbei sein. Das mit dem Rheinorange tat mir weh. Ich wollte es anfassen. Ich kann es ja nicht sehen aus der Ferne und komme nicht nah genug heran. Es gehört eigentlich zum Finish aber wenn da Flut ist bzw. alles durch den Starkregen überschwemmt ist, geht es halt nicht. Ich überlegte am Folgetag mit dem Taxi hin zu fahren, weil das Hotel über 5km weit weg war, nur um das Rheinorange wenigstens einmal berühren zu dürfen. Man durfte als Einzelperson auf eigene Gefahr dort drauf aber den Lauf konnte man dort nicht enden lassen, zu gefährlich, zu viele Leute.
Im Nachgang ist es mir echt egal. Ich habe das Ziel erreicht, ich bin über 230km gelaufen und verlaufen haben wir uns dabei auch noch. Und ob ich jetzt direkt am oder neben dem Rheinorange finishe, spielt keine Rolle. Ich bin auf Platz 21 gesamt gelaufen und fast die Hälfte der Starter ist ausgestiegen. Ultraikonen die bereits mehrmals den Spartathlon erfolgreich gefinisht haben, kamen hinter mir, oder gar nicht ins Ziel! Ich für meinen Teil stellte mir die Frage ob ich überhaupt beim Spartathlon 2024 an den Start gehen soll. Mit meiner sehr guten Zeit von 33h01min kann ich nicht klagen hier angekommen zu sein aber für einen Spartathlon mit 246km unter 36h und fast 2000 Höhenmetern reicht die Zeit für ein Finish fast nicht bis gar nicht. "Ich laufe nie mehr über 200km und nach Griechenland gehe ich schon gleich gar nicht!" Das sagte ich mir auf den letzten 11km ins Ziel und sogar noch im Ziel und auch am Tag danach. Ich hatte es weiter oben schon geschrieben, keine Garantie und man kann nicht einfach sagen, ich lauf mal eben 230km und komme an. Es kann dabei einfach zu viel passieren. Wichtig ist, dass man immer alles gibt und wer alles gibt und tut was in seiner Macht steht um anzukommen, hat sich nichts vorzuwerfen. Gäbe es eine Garantie, wären vermeintlich bessere Athleten als ich nicht hinter mir ins Ziel gekommen und es ist nicht so, dass wir uns auf der Strecke nicht mehrfach begegnet sind. Laufkollege Frank kam gar nicht erst an und das obwohl er in 24h über 200km laufen kann, was mir persönlich noch nie gelungen ist. Noch nie bin ich in 24h über 200km gelaufen. 186km waren mein Maximum bis jetzt.
Immerhin gab es beim Checkup im Ziel keinen weiteren Kreislaufkollaps und mit einem Bier und einer Cola ging die Blutentnahme wunderbar vonstatten. Dann wurde ich noch gewogen, Blutdruckmessung und das war es dann auch mit den Tests nach dem Rennen. 2kg schwerer war ich nach dem Rennen auch noch und das, wo sie immer alle sagen "bewegen ist wichtig, da nimmt man ab..." Naja, das eingelagerte Wasser und die Verdauung, die bei so einer Belastung einfach nicht richtig arbeitet, sind Gründe dafür. Später muss man öfter mal aufs Klo und dann stabilisiert sich das Gewicht wieder.
Tja. Theorie und Praxis... Ich bin heute zwei Tage nach erfolgreichem Rennen sehr glücklich und realisiere so langsam was ich geschafft habe. Ich erkenne das ich keine Ultrapfeife bin und was kann, sogar einer von den starken Läufern bin und mich nicht verstecken muss und ich schaue mir immer und immer wieder mein Zielvideo an und kann es nicht fassen und es kommen mir immer wieder die Tränen. Was ein Rennen, was eine Crew, was eine Leistung.
Ach ja: Sagte ich, ich wolle nicht nach Griechenland? Naja kann man so nicht sagen. Anderes Rennen, Karten werden neu gemischt, anderer Tag, mehr Erfahrung und wer weiß...
Mehr Infos auf der Seite des Veranstalters: www.tortourderuhr.de