Spartathlon 2024: Realistischer Blick auf die Situation

Harry beim Laufen im Spartathlon Team Germany Trikot
Foto: Jens Priedemuth TZ

Es hätte ein heldenhafter Saisonabschluss werden sollen und ich habe bei Gott alles in meiner Macht stehende dafür getan, dass das so wird. Ich habe in der Hitze trainiert, habe hunderte von Kilometern gefressen und erfolgreiche Rennen im Vorfeld erledigt. Im Mai dieses Jahr schaffte ich erfolgreich meine Tortour de Ruhr mit 230km in 33h nonstop und kann somit realistisch sagen ja, ich kann diese Distanzen laufen! Die Distanz ist nicht mein Problem, so lange zu laufen und die mentale Einstellung dazu auch nicht, sondern Hitze! 

 

Ich kann bei Hitze schon laufen, habe aber Probleme, diese harten Cut off Zeiten bei Hitze einzuhalten. Da man zu Beginn schon zügig unterwegs sein muss, um nicht schon nach 80km aus dem Renen genommen zu werden, kostet dieses Tempo natürlich wertvolle Körner. Wenn man sich dann in der Nacht nicht vom heißen ersten Tag erholen kann, ist es vorbei...

So kam ich wirklich nicht schlecht ins Rennen rein. Es war angenehm um 7:00 Uhr morgens und ich war auch echt locker unterwegs. Die Versorgung klappte hervorragend und ich war auch gut hydriert. Das merkte ich auch daran, dass ich kein Durstgefühl verspürte. Einfach regelmäßig kleine Schlücke im Abstand von 5-10 Minuten konsumieren, hat man eine dauerhafte Versorgung, kommt nichts ins Durstgefühl und ist gut versorgt. Ich kam echt super vom Start weg und alles lief perfekt bis zum ersten Marathon (42,2km). Selbst danach noch wunderbar bis ca. km 50. Ab da merkte ich langsam die Hitze und die aufkommende Anstrengung des Rennens. Man quält sich durch heiße Straßenschluchten und an einer wunderschönen Küstenstraße entlang und stets in praller Sonne. Ich kühlte mich so gut es ging mit meiner Kühlweste und Kühlspray von e.cooline. Dieses Eisspray von Liquid Ice ist nicht schlecht aber die Wirkung ist jetzt nicht allzu lang aktiv. Die Kühlweste ist auch eine angenehme Variante, sie ist aber ziemlich schwer zu tragen. Am besten sind immer noch Eiswürfel, die man sich in den Nacken, unter die Mütze oder in die Socken stopfen kann. Tut weh, funktioniert aber recht gut. Allerdings alles nicht ewig lang. Einen Eisbeutel in den Nacken gelegt, sind die Würfel ca. 20min später, flüssiges Eiswasser, mit dem man nochmal versuchen kann, seinen Kopf zu kühlen. Ich kenne da Jungs die sagen, ihnen reicht es, sich mit normalem Wasser über Arme und Kleidung per Verdunstungskälte zu kühlen. Mir reicht das leider nicht. 

 

Ich musste Gehpausen einlegen, versuchte ruhig zu bleiben und mich irgendwie in die Nacht zu retten und hatte nur zwei Ziele im Kopf: Das erste ist, vor 9h30min in Korinth nach 80km anzukommen um drin bleiben zu dürfen als zweites, dass endlich die Sonne irgendwann nach 80km untergehen würde und es eine klare angenehme Nacht gibt, die mich regenerieren und weitermachen lässt. Ich erreichte 80km in 9h und somit hatte ich eine halbe Stunde zum Cut off Zeit. Jetzt musste ich aber schon recht lange gehen und hatte mir irgendwie den Magen etwas beleidigt, weil ich versehentlich eine Cola griff. Diese vertrug sich so gar nicht mit meiner Huel Trinknahrung und arbeitete, schäumte und war unangenehm. Ich konnte normal trinken, nahm Salz und Wasser, konnte aber absolut nicht essen. Mir war nach allem, nur nicht nach essen. Irgendwie muss Energie rein. Ich kenne das aber von mir, dass ich erst Hunger kriege, wenn es kühler wird. Ich ließ mich nicht beirren und lief, bzw. ging meinen Stiefel weiter. Immer im Wechsel, gehen, laufen, gehen, usw. Bis 100km schleppte ich mich durch und es wurde einfach nicht wirklich kühler. Krämpfe plagten mich und ließen mich nicht weiter laufen, ich musste wieder lange Zeit gehen. Da ich die Salzdosis bereits erhöhte und das nichts half, war wohl Flüssigkeit mein Problem und ich freute mich, als ich die Krämpfe dann doch mit kontrolliertem Trinken ca. 20min später in den Griff bekam und wieder laufen konnte. In diesem Rennen hat man immer mit Problemen zu tun, jeder von uns. Hat man die richtige Antwort und kann die Probleme lösen, freut man sich ungemein und es geht weiter. 

 

100km in oder gar unter 12h zu erreichen, ging sich nicht mehr aus und meine Cut off Zeit schwand und schwand und das schon so früh im Rennen. Ich kam endlich in die Nacht, die aber zu Beginn auch nicht wirklich kühl wurde mit 20 Grad. Die Hitze hatte mir am ersten Tag so viel Energie geraubt, dass ich einfach nicht zurück ins Laufen kommen wollte. Ich wurde auch nicht mehr überholt was einfach daran lag, dass die Läufer hinter mir schon gestorben waren und ich jetzt Letzter war. Es musste fast die Hälfte der Starter dieses Jahr aussteigen! Ich traf Bad Water Finisher auf der Strecke die berichteten, dass sie erfolgreich am Bad Water teilgenommen haben, aber diese harte Cut off Zeit einfach nicht hin bekommen. Nachdem ich echt alles versucht hatte, Nahrung aufzunehmen, mehrfach anzulaufen, Red Bull zu trinken, all die Dinge die sonst immer wirken und mir helfen und nichts half, fraß mich nach Checkpoint 36 schließlich auch die Cut off und mein Rennen war zu Ende. Das Gemeine daran ist, das ich nur noch 121km hätte laufen müssen und dafür eigentlich noch 20h Zeit hatte! Man darf aber nicht nur das große Ganze sehen, sondern die Zwischenzeiten müssen hier, anders als bei anderen Rennen, eingehalten werden. Klar hat jedes Rennen Zwischenzeiten. Die sind aber meist so großzügig bemessen, dass man sie problemlos einhalten kann. Es sei denn, man ist echt am Ende und muss gesundheitlich aufgeben. Da draußen gibt es 100km Rennen mit einer maximalen Zeit von 15h oder 100 Meilen Rennen, für die man gesamt fast 30h Zeit hat und Marathons mit über 6h Zeitlimit. Hier muss der erste Marathon schon in 4h45min gelaufen sein, sonst ist es hier schon aus. Und das setzt sich bis zum letzten Kilometer so fort. Die Zeitlimits werden zwar großzügiger je weiter man kommt, auf Dauer aber nur spazieren gehen, reicht nicht um anzukommen. 

 

Der Schmerz darüber ist unbeschreiblich und das Schlimmste daran, ich quäle mich heute noch damit zu glauben, dass ich noch hätte laufen können. Ehrlich gesagt wenn ich laufen hätte können, dann hätte ich es auch getan! Ich will es aber nicht einsehen. Fakt ist, ich wurde bereits beim Checkpoint 35 gewarnt, schneller zu laufen und war schon ein paar Sekunden drüber. Man tolerierte das und ließ mich weiter laufen. Ich schleppte mich weiter und glaubte eigentlich den kommenden Kontrollpunkt gar nicht mehr erreichen zu können. Ich erreichte ihn, war aber völlig entkräftet. Ab da hätte ich wenigstens 8:30min/km laufen müssen um irgendwie drin zu bleiben und genug Zeit aufbauen zu können um über den Sangas Pass zu kommen, mit über 1000 Höhenmetern Aufstieg. Der Weg dort hin, beschwerlich. Denn bis zum Aufstieg ab 159km, geht die Strecke hier wellig weiter. Da ich aber über 9min/km unterwegs war und nicht mehr anlaufen konnte, musste ich einsehen, dass es vorbei war und meine Kraft heute einfach nicht reicht um erfolgreich die Ziellinie zu erreichen. 

 

Ich hätte noch ein oder zwei Punkte weiterlaufen und mich unnötig quälen können aber wofür, wenn das Ziel nicht mehr erreichbar ist? Das hat nichts mit Weichei oder nicht wollen zu tun, aber man muss halt schon realistisch bleiben. Wenn es mir nach 200km so geht und ich genug Zeit habe, bzw. die Cut off Zeit mehr wird, dann kann man sich so versuchen weiter zu schleppen aber nach 125km ist das zu früh im Rennen, wenn es einem so geht. Ich kenne mich und weiß, ich hätte nochmal wieder kommen können und dann läuft es plötzlich wieder. Das bräuchte aber Zeit. Wenn ich mal 10min hätte sitzen dürfen oder einfach vor mich hingehen können, kann man schon wieder regenerieren und es geht plötzlich wieder super weiter. Die Zeit hast du aber beim Spartathlon nicht. Da muss man schon einen gewissen Schnitt laufen. Klar kann man mal Gehphasen haben aber zu lange und zu früh im Rennen dürfen diese nicht sein. 

 

Kurz bevor ich raus musste lief ich gemeinsam mit einem deutschen Teamkollegen, welcher mit mir fast die Cut off nicht geschafft hätte. Der hatte aber das Problem, dass er sich an falschen Zeiten orientiert hat. Er verlaß sich an den Checkpoint Schildern. Als er das erkannte, konnte er natürlich Gas geben, da er sich bis zu diesem Zeitpunkt ja, zurückgehalten hat. Ich konnte nicht mal mehr bergab anlaufen.

 

Fazit: Ich bin und werde kein Hitzeläufer in diesem Leben mehr werden. Würde der Spartathlon bei 15 Grad stattfinden, würde das ganz anders aussehen und andere Kaliber würden mehr leiden als ich. Schaut man sich nur die Tortour de Ruhr 2024 an, hat man den Beweis dafür. Jeder Körper ist anders. Der eine kommt mit Kälte, der andere mit Hitze besser klar. Man kann freilich mit Training noch einige Stellschrauben betätigen um so mit den geforderten Bedingungen  besser klar zu kommen, dennoch werde ich mit Hitze nie so klar kommen wie andere Läufer das tun. Beim Spartathlon ist es aber nun mal heiß und das wird auch so bleiben, da fährt der Zug drüber. Ich muss also mit der Hitze klar kommen und in der geforderte Zeit laufen können. Wenn ich das nicht kann, ist dieses Rennen für mich nicht geeignet. So kann ich es Jahr für Jahr versuchen bis es einmal für mich passt und evtl. nicht ganz so heiß ist oder ich mit der Hitze besser zurecht komme, da ja nicht jeder Tag gleich ist, oder ich muss diese Tatsache akzeptieren. 2022 kam ich sehr weit und das trotz der Hitze. Ich hatte kaum Kühlung auf der Strecke und die Versorgung war dieses Jahr deutlich besser, was mir aber nichts nützte. Es war wohl 2022 nicht ganz so lange heiß und wurde nach ca. 85km kühler. Dieses Jahr blieb es heiß bis km 110 und somit um einiges länger. Die Temperatur sank gerade mal auf 20 Grad als es dunkel wurde nach 19 Uhr. Am Sangas Pass bei km 159 wäre es schön frisch mit kühlem Wind gewesen. Das weiß ich, weil wir dort mit dem Bus auf andere Aussteiger warten mussten, mit denen wir dann ins Hotel gebracht wurden. Das wäre gut für mich gewesen nur, da hätte ich noch ca. 4h durchhalten müssen. 

 

Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist und ich will dieses Rennen auch erst dann an den Nagel hängen, wenn ich wirklich alles versucht habe. Darum denke ich über ein noch intensiveres Hitzetraining nach. Ich laufe 2025 erneut den Marathon des Sables und habe die Hitze der Sahara über eine Woche lang. Wenn ich dann im Mai in China den Great Wall Marathon laufe, im Juni 100km Biel, im Juli einen 24h Lauf in Dettenhausen mitten im Sommer und dann im September den Spartathlon erneut versuche, könnte es klappen, dass ich noch besser in der Hitze zurechtkomme und damit durchkommen kann. Auch geht die Überlegung dahin, einen Urlaub zwei Wochen vorher in Griechenland zu machen und bei Hitze dort vor Ort zu trainieren, bevor es an den großen Start geht. Durch meine Sehbehinderung wird das aber eine logistische Herausforderung. In Athen will ich nicht freiwillig trainieren! Ich mache vieles mit und bin kein Weichei aber dort zu trainieren in Glyfada das ist Selbstmord! Das ist für Sehende schon ein Chaos und für mich ein Alptraum. An der Spartathlon Strecke auf der Straße zu trainieren ist eine weitere Option nur, wie ohne Auto da hin kommen? Über Dinge die einem sonst noch so auf der Strecke passieren können, müssen wir an der Stelle gar nicht sprechen. Das Rennen ist so lange, da kann einem alles passieren. Man kann sich 120% vorbereiten und dann streikt nach 160km plötzlich ein Knie, die Muskeln versagen oder man verletzt sich sonst wie, wird angefahren, ein Hund beißt einen, der Kreislauf geht in die Knie... Das ist mühselig darüber nachzudenken. 

 

Wie gesagt, ich war dieses Jahr verdammt gut vorbereitet. So gut vorbereitet war ich noch nie. Selbst die Hitzetrainings innerhalb Deutschlands waren nicht von schlechten Eltern. So hat es halt dieses Mal nicht gereicht und die Hitze hat mir zu früh den Stecker gezogen. Es würde sicher jeder verstehen, würde ich mir andere Ziele suchen und einsehen, dass der Spartathlon einfach nicht mein Rennen ist. Da ich aber schon zweimal fast da war und diese Distanzen laufen kann, ich eh kommendes Jahr in der Sahara bin und damit meine Hitzeresistenz verbessere, eine Qualifikation für den Spartathlon 2025 habe, wäre ich blöd, würde ich einen erworbenen Startplatz ausschlagen!